Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Zu viele Rückrufe in der Autobranche
Experten sind besorgt und fordern mehr Sorgfalt von den Herstellern
(dpa) - Die Liste ist schier endlos. Auf neun Seiten ist aufgeführt, welcher Autobauer im ersten Halbjahr 2015 Fahrzeuge wegen Mängeln in die Werkstätten zurückgerufen hat. Das Schreiben aus dem Bundesverkehrsministerium, worüber die „Saarbrücker Zeitung“berichtete, zeichnet ein düsteres Bild: Mit mehr als 50 Herstellern ist praktisch die ganze Branche betroffen, etwa 940 000 Autos, Motorräder, Laster und Wohnmobile wurden von Januar bis Juni 2015 zurückbeordert, etwa wegen Mängeln an Airbags, Bremsen oder der Software. 2013 lag der Wert laut Kraftfahrtbundesamt bei etwa 770 000 Fahrzeugen – für das ganze Jahr.
Initiator der Anfrage ist der Grünen-Bundestagsabgeordnete Markus Tressel. „Die Zahl der Rückrufe ist in den letzten Jahren immens gestiegen“, sagt er. Neue Modelle würden „immer schneller und kostengünstiger auf den Markt kommen“. Je schneller dies geschehe, desto eher schlichen sich Qualitätsprobleme ein.
Tatsächlich ist das Zahlenwerk der Bundesregierung aber nur beschränkt aussagekräftig. Das liegt an einer statistischen Kniffligkeit. Denn: Der größte Brocken der Statis- tik entfällt auf den Autobauer BMW, der seit Januar gut 400 000 Fahrzeuge zurückbeordern musste.
Davon entfielen 396 000 auf eine einzige Rückrufaktion. Dieser Fall bläst die Statistik mit ihren gut 150 Rückrufaktionen gewaltig auf. Er geht auf das „Takata-Debakel“zurück, das die Branche erschüttert hat. Der japanische Zulieferer Takata fabrizierte Airbags, bei denen später eine Explosionsgefahr festgestellt wurde. Nicht nur BMW hatte die Airbags bezogen, sondern auch andere Autobauer.
Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen sagt je- doch, das Problem höherer Rückrufzahlen werde wohl an Brisanz zunehmen. „Hinter jedem Rückruf steckt ein Sicherheitsproblem für Verbraucher.“Dudenhöffer sieht einen folgenschweren Kostendruck in der Branche: Wenn Autokonzerne Geld einsparten, ginge dies zulasten der Zulieferer. „Je höher der Kostendruck, umso stärker steigt das Fehler- und damit das Rückrufrisiko.“
Expertenkollege Bratzel warnt, die jüngsten Rückruf-Zahlen seien ohnehin nur die „Spitze des Eisbergs“– nur etwa ein Siebtel der Fälle werde offiziell bekannt, der Rest werde häufig eher klammheimlich durchgeführt, etwa wenn im Rahmen des Routinechecks eines Autos ein Teil ausgewechselt oder die Software aktualisiert wird, dafür dem Kunden aber nichts berechnet wird.
Bratzel verweist bei dem Thema auf die USA. „Dort ist das Klagerisiko am höchsten, sodass Hersteller eher offene Rückrufe initiierten.“Dudenhöffer zeigt ebenfalls gen Amerika – man solle sich ein Vorbild an den USA nehmen. Dort würden Autokonzerne bei Mängeln hart an die Kandare genommen. In Deutschland sei das anders, hier sei das Kraftfahrtbundesamt „ein zahnloser Tiger“, sagte Dudenhöffer.