Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Perückenpuder und Spätzlemehl
Horst Stierands Buch über den Schwaben-Witz: Ein Kaleidoskop mit schillernden Splittern
- Auf dem Tisch liegt „Schwäbisch gschwätzt ond schwäbisch glacht“von Horst W. Stierand. Wieder einmal eine Witzesammlung, die die Welt nicht braucht. So die erste Reaktion. Aber das ist zu kurz gedacht. Lob kommt auch aus berufenem Munde. Laut Hermann Wax, Autor der „Etymologie des Schwäbischen“, ist dieses Buch mit seiner Mixtur von akribischer Untersuchung und kurzweiligem Kompendium bislang einmalig. In der Tat.
Johann Friedrich Flattich zählte zu den bemerkenswertesten Pfarrergestalten im pietistischen Württemberg des 18. Jahrhunderts. Berühmt war seine Gelehrsamkeit, aber auch seine Bescheidenheit. Als der Gegner von auffälliger Kleidung einmal zu einem Empfang beim gestrengen Herzog Carl Eugen mit ungepudertem Haar erschien, stellte man ihn wegen dieser Stillosigkeit zur Rede. „I brauch mei Mehl für meine Spätzla“, konterte er.
Ist das nun eine spezifisch schwäbische Anekdote? Dafür spricht einiges. Denn diese typische Konstellation – schwäbischer Pietismus und schwäbisches Leibgericht – ist nicht übertragbar auf andere deutsche Re- gionen. Und damit wäre auch gleich der Beweis geführt, dass es ihn tatsächlich gibt, jenen schwäbischen Humor, der dem Volksstamm von außen gerne abgesprochen wird – was wiederum die Fragwürdigkeit von landsmannschaftlichen Vorurteilen unterstreicht.
Mit solchen Fragen sieht sich andauernd konfrontiert, wer sich Stierands enorme Fleißarbeit zu Gemüte führt. Nun merkt man schnell, dass für den Diplomhandelslehrer i. R. aus Eislingen zwei Dinge unumstößlich feststehen: Zum einen hält er den schwäbischen Humor mit seinem Konglomerat von Bodenständigkeit, Zurückhaltung, Nüchternheit, Deftigkeit, Bauernschläue und Mutterwitz für etwas Einmaliges. Zum anderen misst er der schwäbischen Sprache mehr Farbe, Ursprünglichkeit, Menschlichkeit, Humor, Ironie und Sensibilität zu als der Standardsprache. Das mag aus regionalpatriotischer Sicht legitim sein, nachfolgen muss man dem Autor hier allerdings nicht.
Beispiele in Hülle und Fülle
Da das Buch mit seinen über 400 Seiten sehr breit angelegt ist, bleibt kaum ein Aspekt ausgespart. Man erfährt einiges über den Unterschied zwischen Humor und Witz: hier der positiv besetzte Humor als Lebensenergie, dort der ambivalente Witz. Humor braucht immer den Witz. Andererseits gibt es humorlose Witze zuhauf, denen die positive Grundströmung fehlt. Für beides liefert Stierand Beispiele in Hülle und Fülle.
Eingebettet in ein engmaschiges Netz von Kapiteln und Unterkapi- teln wechseln Erzählwitze mit Redensarten, sprachgeschichtliche Abhandlungen mit historischen Exkursen, kulinarische Einsprengsel mit Mentalitätsanalysen, und humoristische Texte von Parade-Schwaben wie Thaddäus Troll, Sebastian Blau, Helmut Pfister, Karl Napf, Bernd Merkle etc. gibt es obendrein. Wie es der Schwabe mit dem Reden hat, mit dem Gemüt, mit der Familie, mit dem Arbeiten, mit dem Geld, mit der Religion, mit der Liebe – kein Aspekt bleibt unbeleuchtet.
Redundanzen schleichen sich dabei unweigerlich ein. So taucht etwa – nur ein Beispiel – die FlattichAnekdote gleich zweimal auf. Auf der anderen Seite hätte man sich an manchen Stellen mehr psychologischen Tiefgang gewünscht – vor allem wenn es um die dunklen Seiten des Schwaben-Witzes geht. Wettgemacht werden diese Mankos unter anderem durch Stierands flüssige Schreibe und durch sein Geschick bei der Transkription, also der Schreibung schwäbischer Laute. Hier ist Stierand viel maßvoller als manche Mundart-Autoren mit ihrem Spezialisierungswahn und damit besser zu lesen. Nicht zuletzt hat der Verlag mit Christina Groth-Linden- berg eine Karikaturistin gefunden, deren Strich zu diesem volksnahen Sujet sehr gut passt, und die ein sicheres Gespür für jene Witze hat, die sich zur Bebilderung eignen. Man hätte sich übrigens auch durchaus eine Karikatur auf dem Buchtitel vorstellen können.
Was bleibt hängen? Der Leser weiß nach der Lektüre, dass der Witz hierzulande sehr viele sympathische Seiten hat – es darf gelacht werden. Aber er weiß auch, dass dieser Witz grobschlächtig sein kann, verletzend, ehrenrührig, brutal, unappetitlich, schlüpfrig, ordinär, fäkalbetont, abstoßend, widerwärtig. Oft stockt einem der Atem – und man fragt sich, warum Stierand da nicht zur Schere griff. Wenn er es unterließ, so hat das wohl seinen Grund: Ein Kaleidoskop besteht aus möglichst vielen schillernden Splittern – und alle zusammen sind für das Gesamtbild unerlässlich. So isch no au wiedr.