Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Jagd auf ein Phantom
Mexikos Militär und Polizei stehen bei Fahndung nach Drogenboss unter Druck
(dpa) - Nach dem spektakulären Gefängnisausbruch von Joaquín Guzmán steht der mexikanische Staat unter Druck. Der Drogenboss muss Hilfe von Mitarbeitern der Haftanstalt bekommen haben. Präsident Peña Nieto verspricht die erneute Festnahme des Chefs des Sinaloa-Kartells. Derweil sind sieben Gefängnismitarbeiter der Beihilfe beschuldigt und inhaftiert worden.
Joaquín „El Chapo“Guzmán hat tief gegraben, um der mächtigste Drogenhändler der Welt zu werden. Über 100 unterirdische Gänge hat die Polizei seit den 1990er-Jahren unter der Grenze zwischen Mexiko und den USA entdeckt. Es sind keine dunklen, engen Höhlen, sondern Meisterwerke des Tiefbaus. Sie verfügen über Beleuchtungs-und Lüftungssysteme, einige sogar über auf Schienen laufende Loren, um Drogen und Waffen zu transportieren.
Die Ingenieurskunst des SinaloaKartells kam „El Chapo“auch bei seinem aufsehenerregenden Gefängnisausbruch am Samstag vor einer Woche zu Gute. Seine Helfer hatten einen 1,5 Kilometer langen Tunnel bis in die Waschecke seiner Zelle im Hochsicherheitsgefängnis El Altiplano getrieben, durch den der Drogenboss in die Freiheit spazierte.
Seitdem ist in Mexiko Jagdsaison: Tausende Polizisten und Soldaten suchen zu Wasser, zu Land und in der Luft nach Guzmán. Die USA haben ihre Hilfe zugesagt. Und auch die internationale Polizeiorganisation Interpol schrieb „El Chapo“wieder weltweit zur Fahndung und Auslieferung aus. „Es wird sehr schwierig, ihn schnell wieder festzunehmen“, sagt Senator Alejandro Encinas, der dem Sicherheitsausschuss des Kongresses angehört. „Eine Organisation, die in der Lage ist, einen 1,5 Kilometer langen Tunnel in ein Hochsicherheitsgefängnis zu graben, kann auch eine Person verstecken.“
Sollte er es erst einmal in seine Hochburg im Grenzgebiet zwischen den Bundesstaaten Sinaloa und Du- rango im Nordwesten des Landes schaffen, wäre er wohl wirklich unantastbar. In seiner Heimatregion verfügt Guzmán über eine hochgerüstete Privatarmee, ein gut ausgebautes Netzwerk aus Informanten und den Rückhalt der Bevölkerung.
Experten warnen aber davor, den Ausbruch von „El Chapo“überzubewerten. „In Mexiko ist das organisierte Verbrechen größer als ein ein- zelner Boss“, schreiben die Analysten des Sicherheitsunternehmens Stratfor. Die Fachleute des auf Sicherheitsthemen spezialisierten Nachrichtenportals Insight Crime geben zu bedenken, dass bereits Guzmáns Festnahme vor einem Jahr das Sinaloa-Kartell nicht wesentlich geschwächt habe. Seine Rückkehr an die Spitze des Syndikats dürfte nun genauso reibungslos verlaufen.
Zur Legende geworden
Eine wichtige Rolle in den Ermittlungen könnte Guzmáns dritte Ehefrau Emma Coronel spielen. Die ehemalige Schönheitskönigin stammt selbst aus einer einflussreichen Drogenhändlerfamilie und ist die Mutter der jüngsten Kinder von „El Chapo“. Ihr Aufenthaltsort ist allerdings unbekannt: Da die 24-Jährige und ihre Zwillinge auch über die US-Staatsbürgerschaft verfügen, könnten sie sich im Nachbarland aufhalten.
Mit dem spektakulären Ausbruch ist Guzmán endgültig zur Legende geworden: Er ist nun nicht nur der mächtigste Drogenhändler der Welt, der es mit einem Vermögen von schätzungsweise einer Milliarde USDollar zwischenzeitlich auf die „Forbes“-Liste der reichsten Menschen der Welt schaffte. Er ist das Phantom, das zweimal aus einem Hochsicherheitsgefängnis verschwand.
Die Flucht des wichtigsten Häftlings Mexikos ist eine Blamage für die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto, der sich gerne im Glanz spektakulärer Schläge gegen das organisierte Verbrechen sonnt. „Die einzige Möglichkeit, diese Schande wieder gut zu machen, ist seine Festnahme“, sagte der Staatschef.