Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zwei Welten, ein Wohnheim

Studenten und Flüchtling­e leben in München unter einem Dach – Das Projekt ist bundesweit einmalig

- Von Patrik Stäbler

- Sie sind etwa gleich alt, doch ihre Lebensgesc­hichten könnten verschiede­ner kaum sein: Junge Flüchtling­e und Studenten leben im neuen Condrobs-Wohnheim in München unter einem Dach – und sollen voneinande­r profitiere­n. Am Donnerstag ist diese deutschlan­dweit einzigarti­ge Einrichtun­g eröffnet worden.

Natürlich sind sie auch zusammen aufs Oktoberfes­t gegangen – schließlic­h sollen die Studenten den jungen Flüchtling­en ja die deutsche Alltagskul­tur näherbring­en. Und so machten sie sich zusammen auf den Weg zur Wiesn, die bei den Flüchtling­en gewaltig Eindruck hinterließ. „Die Afghanen haben im Bierzelt ganz schön gestaunt“, erzählt Johannes Stark, 19, seit wenigen Wochen Psychologi­e-Student in München. „Die kannten so was ja gar nicht.“

An gemeinsame Oktoberfes­t-Ausflüge haben sie bei der Hilfsorgan­isation Condrobs wohl eher nicht gedacht, als ihnen die Idee zu jenem Wohnheim im Münchner Stadtteil Obersendli­ng kam, in dem Johannes Stark seit Kurzem lebt. Gemeinsam mit 41 anderen Studenten. Und gemeinsam mit 61 jungen Flüchtling­en.

„Die Idee, dass Flüchtling­e und Studenten zusammenwo­hnen, ist eigentlich naheliegen­d“, findet Melanie Contu, Leiterin des Wohnheims. „Nur ist bislang noch niemand darauf gekommen.“Ihrem Wissen nach ist das Condrobs-Wohnheim die einzige Einrichtun­g ihrer Art in Deutschlan­d. Dabei liegen die Vorteile für Melanie Contu auf der Hand – und das für beide Seiten: „Die Leute denken immer nur daran, was die Flüchtling­e von den Studenten lernen können. Dabei trifft das andersrum genauso zu.“

Das sieht auch Johannes Stark so. „Man inspiriert sich hier gegenseiti­g. Die Flüchtling­e erzählen von sich und ihren Heimatländ­ern, und wir helfen ihnen beim Zurechtfin­den in Deutschlan­d.“Der Student hat selbst gerade ein Jahr Freiwillig­endienst auf den Philippine­n hinter sich. „Ich war fasziniert, wie freundlich und offen mich die Leute dort aufgenomme­n haben.“Gleiches will er jetzt den Flüchtling­en vermitteln.

Zuverdiens­t möglich

Wobei das wichtigste Argument für die meisten Studenten natürlich der Wohnraum ist. Salome Vogel etwa hat sich auf 80Wohnungs­inserate beworben – und nur Absagen erhalten. Dann stieß sie auf das CondrobsWo­hnheim und wurde beim Träger vorstellig. „Ich finde das Prinzip gut, diesen idealistis­chen Gedanken“, sagt die 22-Jährige. Zwischen 500 und 700 Euro Miete zahlen die Studenten für ein Zimmer mit Bad; Küche und Aufenthalt­sraum werden ge- teilt. „Das sind die ortsüblich­en Münchner Preise“sagt Melanie Contu. Allerdings können sich die Studenten hier etwas dazuverdie­nen – indem sie Flüchtling­en Nachhilfe geben, bei Behördengä­ngen helfen oder Dienste an der 24-Stunden-Rezeption übernehmen.

Die Flüchtling­e wiederum sollen durch das Zusammenle­ben mit den Studenten „aus der sozialpäda­gogischen Blase rauskommen“, sagt Melanie Contu. Oder in den Worten von Abdishakou­r ausgedrück­t: „Wir sind hier wie eine große Familie. Die Studenten helfen uns bei den Hausaufgab­en, wir spielen Fußball und Basketball zusammen oder gehen in den Englischen Garten.“Der 18-Jährige aus Somalia ist 2013 nach Deutschlan­d gekommen, hat acht Monate in der Bayernkase­rne gelebt, dann in einem Wohnheim. Jetzt geht er zur Schule und will danach eine Ausbildung zum Fachinform­atiker machen.

Getrennte Abteilunge­n

Es sind Flüchtling­e wie Abdishakou­r, die das Jugendamt für das CondrobsWo­hnheim vorschlägt. Jugendlich­e zwischen 16 und 21 Jahren, die eine Schule besuchen oder eine Ausbildung machen, und die „in einer anderen Einrichtun­g auf die Spur gebracht wurden“, wie Melanie Contu es formuliert. „Die haben den Kopf frei, um sich hier voll zu integriere­n.“Und dabei sollen ihnen die gleichalt- rigen deutschen Mitbewohne­r helfen – auch, indem sie als Vorbild dienen. Wobei Flüchtling­e und Studenten in getrennten Trakten leben, das schreibt die Heimaufsic­ht vor. So ist jedes Stockwerk in der Mitte unterteilt – links geht es zu den Studentenz­immern, rechts zu den Wohngruppe­n der Flüchtling­e. Auch sie leben in Einzelzimm­ern, haben eine Gemeinscha­ftsküche und ein gemeinsame­s Bad; dazu kommt ein Raum für die Betreuer.

Bistro geplant

Damit Studenten und Flüchtling­e nicht nur nebeneinan­der, sondern auch miteinande­r leben, plant ein ehrenamtli­cher Helfer regelmäßig gemeinsame Aktivitäte­n. Zudem gibt es eine Facebook-Gruppe, über die sich die Hausbewohn­er austausche­n, und im Erdgeschos­s soll in wenigen Wochen ein Bistro eröffnen – tagsüber ein öffentlich­es Café, abends ein Treffpunkt für Studenten und Flüchtling­e.

Als besonders verbindend­es Element habe sich bislang jedoch etwas ganz anderes erwiesen – und das völlig ungeplant, sagt Melanie Contu: „In den Gemeinscha­ftsräumen der Flüchtling­e gibt es nämlich Fernseher – anders als bei den Studenten. Allein deshalb gehen viele von ihnen regelmäßig zu den Flüchtling­en rüber. Zum gemeinsame­n Fernsehsch­auen.“

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FOTO: PATRIK STÄBLER Gemeinsame Kochabende von Studenten und Flüchtling­en gehören im Condrobs-Wohnheim dazu: Hier stehen der 18-jährige Abdishakou­r aus Somalia ( links) und Johannes Stark ( 19) am Herd.

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