Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das „Dialog-Quartett“stiftet Frieden

Gewerkscha­fter Houcine Abassi hat nach der Revolution Stabilität nach Tunesien gebracht

- Von Ralph Schulze

- Die tunesische Revolution hat viele Helden. Einer von ihnen heißt Houcine Abassi und ist Generalsek­retär des Gewerkscha­ftsdachver­bandes UGTT. Gewerkscha­ftsboss Abassi gilt als eine der Schlüsself­iguren jenes tunesische­n „Nationalen Dialog-Quartetts“, das am Freitag mit dem Friedensno­belpreis geehrt wurde.

„Ich bin glücklich“, sagte ein völlig überrascht­er Abassi in Tunis, nachdem ihn die Nobel-Nachricht aus Oslo erreichte. „Dieser Preis krönt unsere Bemühungen, Tunesien aus der Krise zu manövriere­n.“Damals vor zwei Jahren, als die Revolution auf der Kippe stand, erinnert sich der 68-Jährige, der 2011 an die Spitze der Gewerkscha­ft gerückt war, „und als es im Land an allen Fronten brannte“.

Kurz vorher, im Dezember 2010, hatte sich in der tunesische­n Provinzsta­dt Sidi Bouzid der Gemüsehänd­ler Mohammed Bouazizi in einer grausamen Protestakt­ion gegen das Regime von Diktator Zine el Abidine Ben Ali selbst verbrannt. Das war der Funke, der die tunesische Revolution in Gang brachte. Jener Aufstand, der später auf andere arabische Länder übergriff – und in der Welt als Arabischer Frühling bekannt wurde.

Der Gewerkscha­ftsverband stützte die vor allem von den jungen Tunesiern getragene Protestbew­egung. Die UGTT, die im ganzen Land gut organisier­t war, wurde sogar zu einer treibenden Kraft des Aufstandes, mit dem Ben Ali schließlic­h verjagt wurde. Und der den Weg zur Demokratie frei machte.

Auf die Revolution folgt Stillstand

Doch der Weg war steinig: Eine aus provisoris­chen Wahlen hervorgega­ngene islamistis­che Übergangsr­egierung schaffte es nicht, das zerrissene Land zu versöhnen. Zunehmende Gewalt islamistis­cher Extremiste­n und die Ermordung von zwei linken Opposition­spolitiker­n stürzten das Land im Jahr 2013 ins Chaos. Die neue Verfassung, um die religiöse und weltliche Parteien schon Monate rangen, drohte zu scheitern.

In diesem heiklen Moment des tunesische­n Übergangs griff Gewerkscha­ftschef Houcine Abassi ein und schmiedete ein breites gesellscha­ftliches Bündnis für Demokratie und Frieden: Das „Dialog-Quartett“war geboren. Zu den Teilnehmer­n gehörte neben der UGTT der Arbeitgebe­rverband UTICA, die tunesische Menschenre­chtsliga LTDH und die nationale Anwaltskam­mer. Abassi erreichte, dass sich Regierung und Opposition mit dem Quartett zu einem nationalen Dialog an einen Tisch setzten, um einen Ausweg aus der verfahrene­n Situation zu finden. Wochenlang stritten die Teilnehmer über ihre Vorstellun­g von Demokratie, Bürgerrech­ten, Gleichbere­chtigung und der künftigen Rolle des Islam im Staat.

„Abassi war ganz klar der Chef“bei diesen Gesprächen, erinnert sich der tunesische Politiker Noomane Fehri von der säkularen Tounes-Partei. „Er war so dickköpfig während der Verhandlun­gen. Er konnte sechs Stunden lang immer wieder dieselbe Frage stellen.“Doch mit seinem eisernen und hartnäckig­en Verhandlun­gsstil setzte sich Abassi durch. Die Islamisten, die ihre eigenen Vorstellun­gen von der Zukunft Tunesiens hatten, willigten ein, sich aus der Regierung zurückzuzi­ehen – und einem parteilose­n Technokrat­en-Kabinett Platz zu machen.

Diesem gelang es dann umgehend unter Führung des Übergangsp­remiers Mehdi Jomaâ, ein studierter Ingenieur, die neue Verfassung durchzuset­zen. Diese verankerte Glaubensfr­eiheit und Gleichbere­chtigung, wurde ein demokratis­cher Meilenstei­n in der arabischen Welt und bildete die Basis für die ersten demokratis­chen Wahlen im Herbst 2014.

Mit Dialog statt Gewalt will Tunesien seinen Weg in die Zukunft gehen will. „Das ist der Pfad des Konsens“, sagte Tunesiens Staatspräs­ident Béji Caïd Essebsi nach der Nobelpreis­Verleihung. Und er machte klar, dass diese Anerkennun­g „dem ganzen tunesische­n Volk“gebührt.

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FOTO: DPA Houcine Abassi vom Gewerkscha­ftsdachver­band UGTT gehört zu jenen, die für ihre Bemühungen um Stabilität und Demokratie in Tunesien mit dem Nobelpreis ausgezeich­net wurden.

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