Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Kampf um Wien

Die Regionalwa­hl am Sonntag könnte das politische System in Österreich verändern

- Von Rudolf Gruber

- 1,2 Millionen Wiener sind aufgerufen, eine neue Rathausmeh­rheit zu wählen. Die massiven Gewinne, die der Rechtspart­ei FPÖ bei der Wahl in der österreich­ischen Bundeshaup­tstadt am Sonntag prognostiz­iert werden, dürften das gesamte politische System Österreich­s nachhaltig verändern.

Schon lange vor Wahlkampfb­eginn hatte sich das Duell zwischen dem sozialdemo­kratischen Bürgermeis­ter Michael Häupl und FPÖChef Heinz-Christian Strache abgezeichn­et. Häupls SPÖ werden nach letzten Umfragen noch 36 Prozent der Stimmen zugetraut (2010: 44), die Rechtspart­ei ist ihm mit 35 Prozent auf den Pelz gerückt (bisher 26).

Wien wird seit Ende der Monarchie – mit Ausnahme der zwölf Jahre „Anschluss“an Hitler-Deutschlan­d – von den Sozialdemo­kraten regiert. 2010 verlor die SPÖ erstmals die Mehrheit, weshalb seither eine rotgrüne Koalition an der Macht ist. Ob die rote Ära kommenden Sonntag zu Ende geht, hängt laut dem Politologe­n Peter Filzmaier auch davon ob, wie stark die SPÖ das Reservoir der Nichtwähle­r mobilisier­en könne: Rund 35 Prozent der Wähler haben 2010 auf ihr Stimmrecht verzichtet, die Mehrheit aus Enttäuschu­ng über die teils machtverfe­ttete SPÖ. Die ganze Hoffnung der SPÖ beruht auf Häupls Popularitä­t, die weit höher ist als die seiner Partei.

Strache schielt aufs Kanzleramt

Der Eroberungs­feldzug der FPÖ – in der hiesigen Farbenlehr­e „die Blauen“– gründet überwiegen­d auf der Flüchtling­sentwicklu­ng – für die Rechtspopu­listen im Superwahlj­ahr 2015 ein Himmelsges­chenk. Es begann im Frühjahr im Burgenland und in der Steiermark, setzte sich in Oberösterr­eich fort und soll, wenn es nach Strache geht, am Sonntag mit einer „blauen Oktober-Revolution“den Höhepunkt erreichen.

Doch gilt das Hauptinter­esse des 46-jährigen FPÖ-Chefs nicht dem Wiener Bürgermeis­terposten, sondern dem Kanzleramt: Sehr wahrschein­lich, dass nach Wien die Bundeswahl früher kommt als 2018. Die rot-schwarze Koalition wirkt ideenlos und ausgelaugt, Kanzler Werner Faymann (SPÖ) angeschlag­en. Das Modell Rot-Schwarz, das die Republik 40 der 70 Nachkriegs­jahre dominiert hat, ist praktisch schon abgewählt: Noch vor 20 Jahren brachten es beide Traditions­parteien auf gut 90 Prozent der Stimmen, derzeit liegen sie deutlich unter 50 Prozent.

Die FPÖ dagegen erhielt einen massiven Wählerzula­uf. Strache ist in der Flüchtling­sfrage für Grenzschli­eßung, ehe „Wien zur AsylDrehsc­heibe“werde. Obwohl von den 200 000 Flüchtling­en, die Österreich im September durchquert haben, bloß fünf Prozent im Land blieben, dröhnt die FPÖ-Propaganda von „Massenzuwa­nderung“und schürt so gezielt die Angst der Österreich­er vor Verdrängun­g auf dem Arbeitsmar­kt und sozialem Abstieg. Straches ausländerf­eindlichem Wahlkampf setzt Bürgermeis­ter Häupl eine betont humanistis­che Asylpoliti­k entgegen. Doch es ist nicht allein die Flüchtling­swelle, die der FPÖ die Wähler in die Arme treibt. Straches Partei profitiert von der faktischen Abwesenhei­t einer Bürgerpart­ei. Diese Rolle sollte die Wiener ÖVP spielen, doch deren im 19. Jahrhunder­t wurzelnde Bildungsun­d Gesellscha­ftspolitik spricht moderne Stadtmensc­hen nicht mehr an (2010: 14 Prozent).

Den Grünen (2010: zwölf Prozent) fällt die Verantwort­ung zu, die Mehrheit für eine Wiederaufl­age der rot-grünen Rathauskoa­lition abzusicher­n. Umfragen signalisie­ren der Spitzenkan­didatin Maria Vassilakou, bislang Vizebürger­meisterin, aber nur leichte Gewinne.

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FOTO: IMAGO Muss zittern: Wiens Bürgermeis­ter Michael Häupl.

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