Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wahl ohne Auswahl in Weißrussland
o der Feind steht, ist für Weißrusslands Opposition längst klar: Der autoritäre Staatschef Alexander Lukaschenko soll endlich weg von der Spitze der früheren Sowjetrepublik. Doch „Europas letzter Diktator“muss bei der Präsidentenwahl an diesem Sonntag keinen Gegner fürchten. Seit Lukaschenko 1994 an die Macht kam, hat er alle demokratischen Institutionen ausgehebelt. „Zu viel Demokratie ist ekelerregend“, betonte der 61-Jährige einmal.
Die gegenseitigen Sanktionen des Westens und Russlands in der Ukraine-Krise bieten Weißrussland nun unerwartete Verdienstmöglichkeiten. Moskau hat die Einfuhr zahlreicher westlicher Lebensmittel aus der EU verboten, sie kommen aber trotzdem ins Riesenreich via Weißrussland. Firmen in Minsk verarbeiten Fleisch, Käse und Fisch aus der EU und verkaufen sie – oft als „Eigenprodukte“– nach Russland.
Lukaschenko nutzt die Lage auch politisch. Weißrussland tritt bei den Friedensgesprächen für die OstUkraine demonstrativ als Vermittler auf und lädt immer wieder zu Gesprächen nach Minsk ein. Im Februar handelte dort Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in einer Nachtsitzung ein wichtiges Friedensabkommen aus. Lukaschenko hoffe, aus seinem Land eine Brücke zwischen Ost und West zu machen, meint der Politologe Alexander Klaskowski. Dabei habe sich am Druck gegenüber der Opposition und Medien nichts geändert.
Traten bei der Präsidentenwahl 2010 noch neun Bewerber gegen Lukaschenko an, gilt diesmal Newcomerin Tatjana Korotkewitsch als einzige wirkliche Oppositionskandidatin. Mehrere Konkurrenten ließ der Präsident erst aus dem Gefängnis, als die Anmeldefrist für die Wahl verstrichen war. Andere unabhängige Kandidaten wurden vom Geheimdienst KGB unter Druck gesetzt.
Wegen seiner Lage zwischen der EU und Russland ist das Land für den Westen strategisch wichtig. Weiß- russland wiederum braucht Geld. Lukaschenko hat zwar mit China und Iran Kredite ausgehandelt, auch Russland pumpt Milliarden in den Bruderstaat, dennoch leiden viele der 9,5 Millionen Einwohner an einer massiven Inflation. Wie am Freitag aus EU-Kreisen verlautete, wird die Aussetzung der Sanktionen gegen Lukaschenko vorbereitet. Auch sollen Einreise- und Vermögenssperren gegen 170 Vertraute und Anhänger des Staatschefs ausgesetzt und womöglich später aufgehoben werden. Das sei „eine Geste“, nachdem Minsk jüngst die letzten politischen Gefangenen freigelassen hatte, sagte ein EU-Diplomat. Vor einer endgültigen Entscheidung soll aber die Wahl abgewartet werden. (dpa/AFP)