Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ist der Freihandelspakt mit Amerika sinnvoll?
Die Stärke der deutschen Wirtschaft basiert in hohem Maße auf ihrer Internationalität. Besserer Zugang zu Märkten und zeitgemäße Regeln für den Handel sind daher wichtige Weichenstellungen für unsere Zukunft. Die USA sind seit diesem Jahr Deutschlands größter Exportmarkt, dennoch verkomplizieren viele Normen, Prüfungsverfahren, Zollvorschriften den Handel, die lediglich zusätzlichen Papierkram oder kostspielige Doppelzertifizierungen trotz gleicher Sicherheitsund Qualitätsstandards bedeuten. Diese Vorschriften sollen im Rahmen von TTIP abgeschafft werden.
Es bringt niemandem etwas, wenn Warensendungen eine bestimmte Zeit beim Zoll gelagert werden müssen und somit Ersatzteile oft nicht pünktlich zum Kunden kommen. Nahezu deckungsgleiche Qualitätsprüfungen müssen oft zweimal durchgeführt und bezahlt werden – einmal in Deutschland und einmal in den USA, weil die jeweiligen Institute die Siegel des anderen nicht anerkennen. Für Maschinen ist in jedem US-Staat eine andere Farbe für Strom-, Luftund Wasserkabel vorgeschrieben, so dass Exporteure sie aufwendig anpassen müssen. Eine konstruktive, lebendige Debatte zu TTIP bringt das Abkommen mit den USA voran – eine pauschale Ablehnung dagegen verspielt Chancen zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Wohlstand. In Bezug auf die Transparenz der Verhandlungen hat sich viel getan: Mittlerweile sind fast alle EU-Textvorschläge für das Abkommen sowie Hintergrundinformationen auf der Webseite der EU-Kommission für jedermann einsehbar – werden aber kaum angeklickt. Auch zum diskutierten Investitionsschutz hat die EU-Kommission Reformvorschläge vorgelegt. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrieund Handelskammertages
Millionenstarke Bürgerinitiativen, lautstarke Großdemonstrationen: Der Protest gegen die geplanten Freihandelsabkommen bewegt weite Teile der Zivilgesellschaft.
Die Bundesregierung sollte darüber nicht hinwegsehen. Sie muss jetzt erklären, dass sie dem fertigen Ceta-Vertrag mit Kanada nicht zustimmen wird. Und sie muss sich dafür einsetzen, dass die TTIPVerhandlungen mit den USA gestoppt werden.
Es gilt zu verstehen, dass beide keine klassischen Freihandelsabkommen sind. Nur am Rande geht es noch um Zölle, dafür um die Frage, wie wir künftig Regeln setzen. Das betrifft den Umweltschutz, Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte, also weite Teile der Gesellschaftspolitik. Erforderlich wäre daher eine echte demokratische Rückkopplung – die jedoch fehlt an allen Stellen. Die Abgeordneten haben keinen Einfluss auf Verhand- lungsmandate, keinen Einblick in wichtige Verhandlungsdokumente. Am Ende sollen sie noch „Ja“oder „Nein“sagen, verändern dürfen sie die Vertragstexte nicht.
Sind die Abkommen erst in Kraft, verkleinert sich der Spielraum der Volksvertreter weiter: Regierungsgremien könnten Entscheidungen alleine fällen, ohne das Europaparlament. Zudem setzen TTIP und Ceta neue, völkerrechtlich bindende Leitplanken, innerhalb derer sich Gesetzgebung bewegen muss. Heißt: Deutschland oder die EU dürfen nur solche Gesetze noch beschließen, die nicht gegen die Abkommen verstoßen – oder denen die Handelspartner USA oder Kanada zustimmen. Das schwächt auch unser Wahlrecht: Sinkt die Macht gewählter Repräsentanten, verliert unsere Stimme an Wert. Das alles dürfen wir nicht akzeptieren – es ist Zeit für ein Stoppsignal.
„Eine pauschale Ablehnung verspielt Chancen“
„Es ist Zeit für ein Stoppsignal“
Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation
Foodwatch