Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Merkel hat zu lang gewartet“
Donots-Sänger Ingo Knollmann über Flüchtlingspolitik, Empathie und wie man Kinder erzieht
- Herbert Grönemeyer ist dabei. Die Sportfreunde Stiller sind dabei. Wolfgang Niedecken ist dabei. Die Donots sind dabei. Am Sonntag geht auf dem Königsplatz in München ein großes Solidaritätskonzert für Flüchtlinge und Helfer über die Bühne. Christiane Wohlhaupter hat mit Ingo Knollmann, Sänger der Punkrockband Donots, über das Engagement der Band, Anforderungen an Politik und Bevölkerung und seine Wünsche für die Flüchtlinge gesprochen.
Ingo, mit deiner Band Donots bist du am Sonntag beim Solidaritätskonzert in München mit von der Partie: Wie muss es laufen, damit du zufrieden bist?
Ich möchte glückliche Gesichter sehen und dass die Flüchtlinge ein Gefühl bekommen, hier willkommen zu sein. Und es wäre genial, wenn die positive Message medial weitergetragen wird.
Wann kam der Anruf von den Sportfreunden Stiller und wie schnell wart ihr euch einig, dass ihr da dabei sein wollt?
Die Sportfreunde sind alte Freunde und haben uns recht kurzfristig angerufen. Das Ganze ist ja mit einer recht heißen Nadel gestrickt, einer guten heißen Nadel. Da sind viele Bands dabei, die wir auch schon ewig kennen. Für so eine schöne Sache einzustehen, da war ganz klar, dass wir mitmachen.
Warum ist es euch wichtig, dort dabei zu sein?
In Zeiten wie diesen ist es wichtig, Stellung zu beziehen und den Mund aufzumachen. Wir haben 20 Jahre lang auf Englisch gesungen und im Februar unsere erste Platte auf Deutsch herausgebracht, um unmissverständliche Statements abzugeben.
Dieses Album heißt „Karacho“und enthält Songs wie „Dann ohne mich“, in dem ihr euch gegen Rassismus aussprecht. Waren Teile der Bevölkerung zu blauäugig, wenn sie geglaubt haben, dass sich das Thema Rechtsradikalismus weitgehend erledigt hat?
Die ganzen Nazistrukturen hat es gegeben und wird es wahrscheinlich auch immer geben. Der Naziuntergrund durchsetzt ganz Deutschland. Was jetzt erschreckt, ist, dass Rechtspopulisten und Organisationen die ansonsten meinungslose und mundtote Mitte instrumentalisieren, indem sie das Gefühl vermitteln: „Da kommen Leute in unser Land, die uns etwas wegnehmen.“Da wird es kritisch. Da merkt man, wie schnell die Stimmung kippen kann und sich meinungslose Leute ins rechte Lager zerren lassen. Dann laufen sogenannte besorgte Bürger der Pegida hinterher, oder in Österreich der FPÖ, in Griechenland der Goldenen Morgenröte und in Frankreich der Front National – das ist ein europäisches Problem.
Was hältst du dieser Angst mancher Leute, dass ihnen etwas weggenommen wird, entgegen?
Sie sollen sich informieren und sich die Zahlen anschauen. Das sind zwar erst einmal erschreckende Zahlen, wenn man hört, dass in Deutschland 1,5 Millionen Asylsuchende erwartet werden. Aber von einer Islamisierung des Abendlands kann keine Rede sein. Das ist ein Prozent der kompletten Bevölkerung in Deutschland, das ist nicht wirklich viel. Bei der Anzahl der Flüchtlinge, die hier ankommen, ist es inzwischen auch eine wirtschaftliche Debatte, aber es ist in erster Linie eine menschliche Debatte. Da krepieren Leute, da ertrinken Leute im Mittelmeer, da kämpfen Leute mit Heimatlosigkeit, Heimweh, die haben alles hinter sich gelassen. Die Anstrengung, die die Leute unternehmen – das ist der helle Wahnsinn. Da kann niemand sagen: „Das geht uns nichts an.“
Wie erklärst du dir, dass es trotz- dem Menschen gibt, die finden: „Das geht uns nichts an“. Mangelt es da an Menschlichkeit?
Es gibt da ein Zitat aus einem alten Punkrock-Song: „Lass Menschen hungrig werden, und du formst Ungeheuer“. Wenn Rechtspopulisten und Boulevard-Medien der Marke Bild-Zeitung an die niedrigsten Instinkte der Menschen appellieren, Ängste schüren und der Masse vermitteln, dass ihnen etwas weggenommen würde, dann wird die Masse natürlich egoistisch. Dann ist das schnell vorbei mit der Empathie. In „Dann ohne mich“gibt es die Zeile „Der Unmensch ist sich selbst am nächsten“. Das ist einfach so.
Was wünschst du dir für die Flüchtlinge, die hier her kommen?
Ich wünsche mir, dass sie sich willkommen fühlen, dass sie ihre Füße irgendwie wieder auf den Boden bekommen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, sich heimatlos zu fühlen, Teile seiner Familie in einem Krisengebiet zurückzulassen, nicht zu wissen, wie es denen geht und wie es mit einem selbst weitergeht – das muss ein ganz fürchterliches Gefühl sein. Ich hoffe, dass sie neu starten können, dass es ihnen wieder gut geht. Langzeitziel wäre, dass sich hoffentlich auch so etwas wie der Syrienkonflikt beilegen lässt und es dort wieder zur Ruhe kommt. Wenn man bedenkt, dass Rüstungsexporte in diese Regionen in großem Stil betrieben werden, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn die Bewohner dort nicht bleiben können.
Welche Verantwortung kommt europäischen Politikern und der europäischen Bevölkerung zu?
Auf der einen Seite müssen die Leute, die hier herkommen, vernünftige Möglichkeiten zur Integration und zum Durchstarten bekommen. Auf der anderen Seite müssen die Politiker die Sachlage erklären und die Angst aus den Köpfen der Menschen herausbekommen.
Siehst du dir dann etwas wie Angela Merkels Auftritt bei Anne Will an? Oder fehlt dir dazu der Nerv?
Wenn das hilft und irgendwelchen Wutbürgern die Angst nimmt, dann ist das für mich in Ordnung. Das gehört wohl auch zum Politiker-Business dazu, dass du dich ablichten lässt mit den Leuten, die in der Krise stecken, Babys abknutschen. Politiker machen das ja nicht nur, um Hilfe zu leisten, sondern auch aus Eigennutz, um sich ein bisschen zu profilieren. Das gehört wohl irgendwie dazu, auf der anderen Seite muss man aber auch ganz klar Stellung beziehen. Frau Merkel hat ja Wochen und Monate nicht klar Stellung bezogen und jetzt macht sie es zur Chefsache, weil sie sieht, dass die Kacke am Dampfen ist. Da muss man ja auch einfach mal sagen: Sie hat zu lang gewartet.
Wie erziehst du als Vater dein Kind weltoffen, tolerant und empathisch?
Ich bin ja erst seit zwei Monaten Papa und hoffe, dass ich es irgendwie hinbekomme, diese Werte zu vermitteln. Meine Eltern haben mich sehr, sehr weltoffen erzogen. Sie haben immer gesagt: „Teile mit anderen, gehe auf andere zu, sei höflich. Weil so wie du Leute behandelst, möchtest du ja auch von anderen behandelt werden.“Wenn man Menschen beibringt, dass sie nett und respektvoll sein sollen, dann ist das schon mal die halbe Miete. Alles andere kommt danach. So platt das klingt: Wenn man Kinder positiv erzieht, werden das auch positive Menschen.