Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Macht durch Märkte
Historikertagung in Bad Waldsee beleuchtet Wirtschaftsgeschichte in Oberschwaben von 1300 bis 1600
- Globalisierung ist kein modernes Phänomen. Das lehrt ein Blick zurück. In Venedig stellten einst die oberdeutschen Handelshäuser die größte Gruppe dar. Familien wie die Fugger und Welser aus Augsburg, die Vöhlin aus Memmingen oder die Humpis aus Ravensburg waren schon im 14. Jahrhundert „global players“. Die Grundlage dieses Reichtums war die Textilwirtschaft. Wie sie die Region vom Schwarzwald bis zum Lech, vom Bodensee bis zur Alb beeinflusst hat, will die Gesellschaft Oberschwaben darstellen. In einem mehrjährigen Projekt sollen aktuelle Forschungen vorgestellt und eventuell neue angeregt werden.
Den Auftakt hat die Tagung „Herrschaft, Markt und Umwelt – Wirtschaft in Oberschwaben von 1300 bis 1600“in Bad Waldsee gemacht. „Wirtschaftslandschaft“ist ein relativ junger Begriff. Rolf Kießling (Universität Augsburg) und Helmut Flachenecker (Universität Würzburg) haben ihn geprägt, um historische Raumstrukturen zu untersuchen. Bei der Tagung gab Kießling einen Einblick in die neuere Forschung zur Wirtschaftslandschaft Oberschwaben vom Spätmittelalter bis ins 16. Jahrhundert. Demnach gehören Städteentwicklung und Märkte eng zusammen. Der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung war in Süddeutschland die Produktion von Barchent, einem Baumwoll-LeinenMischgewebe.
Bis Ende des 16. Jahrhunderts hat sich in Oberschwaben ein differenziertes Märktesystem entwickelt. Es sorgte für den Austausch zwischen Stadt und Land, für den Ausbau von Infrastruktur und Fernhandel.
Zölle regeln den Export
Die Verteilung von Waren und Lebensmitteln war streng reglementiert. Die Akteure im Handel wie die Herrschaftsträger achteten sehr genau darauf, wer, wo, wann und womit handeln durfte. Kießling nannte Beispiele: Wie viele andere Städte verhängte auch Augsburg eine Bannmeile. In einem Umkreis von 45 Kilometern durfte nicht mit Lebensmitteln gehandelt werden. Die Viktualien sollten nur auf dem Markt in Augsburg verkauft werden, um so die Ver- sorgung der städtischen Bevölkerung sicherzustellen. Andererseits waren auch die Exporte der Waren durch Zölle genau geregelt. In vielen Einzelstudien hat man untersucht, wie weit der Einfluss der jeweiligen Städte ging: Wo wurde mit Memminger Maß gemessen, wo mit Ulmer?
Wie bei heutigen Handelsabkommen ging es auch damals um nichts anderes als um die Sicherung von Einfluss- und Absatzzonen. Die oberdeutschen Barchenthersteller machten schon um 1370/80 den Italienern Konkurrenz. Kießling sagt: „Es war eine Massenproduktion.“Ende des 15. Jahrhundert wurden in Oberdeutschland fünf bis zehn Millionen Meter Barchent im Jahr hergestellt und über Venedig und Genua exportiert. Der Bedarf am Rohstoff Flachs konnte nicht aus der Region gedeckt werden. „Seit Mitte des 15. Jahrhunderts wird Flachs importiert, aus Litauen und Polen zum Beispiel.“
Die These, dass es Gewerbe nur in der Stadt gegeben habe, lasse sich so nicht mehr aufrechterhalten. „Die Vorstellung, dass das Land agrarisch, die Stadt gewerblich ist, ist falsch.“Produziert wurde sowohl in den Städten wie in den Dörfern.
Dass sich in Ostschwaben ein verdichtetes Textilgewerbegebiet entwickelt hat, könnte etwas mit der Pest zu tun haben. Kießlings These: Der „Schwarze Tod“hat nicht überall gleich gewütet. Im östlichen Schwaben sei die Pest weniger heftig gewesen. „Es gab noch genügend Arbeitskräfte.“In Augsburg sei geradezu ein „innovativer Schub“spürbar.