Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Das Rauschen im Kopf
Theaterspielclub 20+ zeigt im Kiesel ein Stück über Demenz
- Der Friedrichshafener „Theaterspielclub 20+“hat am Donnerstagabend mit dem Stück „Rauschen“im Kiesel Premiere gefeiert. Für die Eigenproduktion hatten die zwölf Spieler zwischen 25 und 75 Jahren das Thema „Demenz“gewählt. Aus der Feder und unter der Regie von Theaterpädagogin Alexandra de Jong ist ein bildgewaltiges Stück entstanden, das die Krankheit aus der Sicht der Betroffenen und ihre Auswirkungen auf das soziale Umfeld zeigt.
Sängerin Charlotte von Rabenstein feiert jedes Jahr im Kreis ihrer Familie Geburtstag. Auch an ihrem 70. Geburtstag lädt sie ihre jüngere Schwester, ihren Sohn, die beiden Töchter und ihre Enkelkinder ein. Es folgt eine ritualisierte Feier, in der die Jubilarin eine Willkommensrede hält, die ihr Besuch schon mitsprechen kann. Sie erinnert an ihre Vergangenheit, an ihre Hochzeitsreise, die Fahrt über dem Nil, das Rauschen des Wassers und wie glücklich sie war. Es ist wie jedes Jahr, wären da nicht die Erinnerungslücken. Die folgenden Geburtstage weichen immer mehr vom Altbekannten ab. Bald kann Charlotte von Rabenstein ihren Alltag nicht mehr ohne Notizen gestalten, nur wenn sie Wasser rauschen hört, übertönt es das eigene Rauschen im Kopf, während sie krampfhaft versucht, ihre Erinnerungslücken zu schließen. Doch irgendwann werden aus ihren Verwandten Fremde und die Dunkelheit im Kopf tüncht ihr früheres, farbenprächtiges Leben ins Schwarz.
Demenz ist eine schleichende Krankheit. Langsam legt sich ein Ne- bel über die Erinnerungen, der sich mit aller Gewalt im Kopf festkrallt und sich stetig ausbreitet.
Die Liebe zum Leben
Die Akteure haben ein behutsames Stück erarbeitet und mit einer bildgewaltigen Bühnensprache in Szene gesetzt. Der Spielclub und Theaterpädagogin Alexandra de Jong haben es verstanden, die schillernde und selbstbewusste Persönlichkeit der Charlotte von Rabenstein, in eine verloren wirkende und hilflose Frau zu verwandeln. Helga Storz spielt überragend die ältere Dame, die sich im Leben nicht mehr zurechtfindet. Es sind sowohl die Aspekte einer Betroffenen, die das Stück herausgearbeitet hat, aber auch die Auswirkungen auf ihr direktes Umfeld. Mutter, Großmutter und Schwester werden zu Fremden und die Brücke der Ver- gesslichkeit kann nur der ein Stück mitgehen, der sich auf die neue Welt des Betroffenen einlässt. Es sind die ruhigen Momente des Stücks, die nachwirken, die betroffen machen, aber auch versöhnlich stimmen, denn mit ihrer fortschreitenden Demenz ist Charlotte zwar verletzlich, entdeckt aber in ihrer eigenen, neuen Welt andere Freuden. Mit fast schon kindlicher Unbekümmertheit findet sie die Liebe zum Leben und zu ihrer verloren geglaubten Tochter wieder.