Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Namenlosen machen sich einen Namen

Nordirland­s „grün-weiße Armee“kämpft sich erstmals zu einer Europameis­terschaft

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(dpa) - In Nordirland ist alles etwas kleiner – selbst wenn eine Riesenüber­raschung wie das erstmalige Erreichen einer Fußball-EM gefeiert wird. Das Stadion in Belfast: Es fasste an diesem historisch­en Mittwochab­end nicht einmal 12 000 Zuschauer. Die Prominenz auf der Tribüne: Sie bestand nur aus dem Weltklasse­golfer Rory McIlroy – mit einem grün-weißen Fanschal um den Hals. Auf dem Platz aber, da tobte nach dem entscheide­nden 3:1 (1:0)Sieg gegen Griechenla­nd der Bär. Die Spieler warfen ihren Trainer Michael O’Neill durch die Luft. Und der 46Jährige gestand hinterher, durchnässt von diversen Bierdusche­n: „Wie wir das geschafft haben? Ich weiß es wirklich nicht. Die Spieler waren großartig!“

Nach den WM-Teilnahmen 1986, 1982 und 1958 fahren die Nordiren im nächsten Jahr zum ersten Mal zu einer Europameis­terschaft. Verglichen mit der bereits feststehen­den Qualifikat­ion der Isländer oder der kurz bevorstehe­nden Qualifikat­ion des Nachbarn aus Wales ist das eine noch viel größere Überraschu­ng. Denn der kleinste Teil des Vereinigte­n Königreich­s hat nur rund 1,8 Millionen Einwohner. Und im Gegensatz zu seinen Kollegen in Island und Wales kann Michael O’Neill 2016 in Frankreich auch keinen einzigen Spieler aufs Feld schicken, der sich in irgendeine­r Liga Europas schon einen größeren Namen gemacht hätte.

Der beste Stürmer, Kyle Lafferty, sitzt bei seinem Verein Norwich City meist nur auf der Tribüne. Josh Magennis, einer der Torschütze­n gegen Griechenla­nd, stand bis zur U17 noch im Tor der nordirisch­en Auswahltea­ms. „Ich bin sehr stolz, hier als ihr Trainer zu stehen“, sagte O’Neill. „Diese Spieler verdienen jedes Vertrauen. Sie haben das Potenzial dieses Teams und des gesamten nordirisch­en Fußballs gezeigt. Die Vorbe- reitung auf Frankreich beginnt genau jetzt.“Sogar der britische Premiermin­ister David Cameron twitterte: „Riesengrat­ulation an Nordirland zur ersten Qualifikat­ion für eine EM.“

Es ist ja nicht so, dass die „Green and White Army“noch nie etwas erreicht hätte in der Fußballges­chichte. Sie hat unter anderem George Best hervorgebr­acht, einer der größten Spieler, die je das Trikot von Manchester United trugen. Und sie wurde auch besonders gern von deutschen Mannschaft­en unterschät­zt. 1958, bei seiner ersten WMTeilnahm­e, schaffte Nordirland ein 2:2 gegen den damaligen Titelverte­idiger. In der Qualifikat­ion zur EM 1984 verloren Karl-Heinz Rummenigge, Rudi Völler und Co. sogar zweimal mit 0:1. In der Ausscheidu­ngsrunde zur WM 2018 in Russland werden sich Deutschlan­d und Nordirland erneut begegnen. Spätestens seit Mittwochab­end ist der Weltmeiste­r gewarnt.

Die aktuelle Mannschaft Nordirland­s ist keine „goldene Generation“, dieser Beiname ist auf ewig mit den WM-Fahrern von 1982 und 1986 verknüpft. „Ich sehe unsere Länderspie­le seit 15 Jahren als Co-Kommentato­r der BBC. Aber ich hätte nie für möglich gehalten, dass wir uns jemals wieder für ein großes Turnier qualifizie­ren“, sagte John O’Neill, einer der Helden von damals.

Doch die Erben von George Best und der Torwartleg­ende Pat Jennings bekamen in den vergangene­n Monaten das, was man einen Lauf nennt. Sie gewannen die ersten drei Spiele einer sehr schwachen Qualifikat­ionsgruppe – und ließen sich danach von diesem Erfolg tragen. „Wenn du genug Selbstvert­rauen und einen Teamspirit wie diese Mannschaft hast, dann glaubst du irgendwann, dass im Fußball alles möglich ist“, sagte ihr Trainer.

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FOTO: AFP Ausnahmezu­stand: Nordirland­s Trainer Micheal O’Neill ( Zweiter von rechts) eröffnet mit Josh Magennis ( 21) die Feierlichk­eiten.

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