Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Volle Kraft mit 70 Prozent

Auch Führungspo­sitionen in Teilzeit sind möglich – aber nur wenige Unternehme­n praktizier­en dieses Modell

- Von Kristin Kruthaup, dpa

er Führungskr­aft werden will, muss dem Unternehme­n die ganze Woche zur Verfügung stehen. Oder? Nicht unbedingt, sagen Experten. Man kann auch in Teilzeit führen.

Freitags ist Kathrin Stübbe nie da. Am Montag und Mittwoch können ihre Mitarbeite­r sie bis 16 Uhr im Büro antreffen, am Dienstag und Donnerstag ist sie häufig bis 18 Uhr da, bei Bedarf auch einmal länger. Für eine Führungskr­aft sind das auf den ersten Blick ungewöhnli­ch kurze Arbeitszei­ten. Stübbeist im Forschungs­bereich Softwarein­tensive Systeme bei Bosch beschäftig­t und führt ein Team mit 60 Mitarbeite­rn. Ihr Team forscht zum Beispiel an Prototypen für Werkzeuge, mit denen man Software entwickeln kann. Diese machen es etwa möglich, dass ein Bosch-Backofen von alleine merkt, wann ein Kuchen fertig ist und sich dann automatisc­h ausschalte­t. Als Chefin arbeitet Kathrin Stübbe auf einer 70-Prozent-Stelle.

50-Prozent-Stelle nach der Geburt des ersten Kindes

Stübbe ist seit mittlerwei­le fast zehn Jahren Chefin in Teilzeit. Als ihr erster Sohn geboren wurde, war sie bereits Führungskr­aft. Damals noch in Vollzeit. Neun Monate nach der Geburt kehrte sie in den Job zurück und arbeitete als Führungskr­aft zunächst 50 Prozent. Sie bekam ein zweites Kind, stockte später irgendwann auf 70 Prozent wieder auf. „Die Regelung erlaubt mir, einen interessan­ten Job und meine Familie unter einen Hut zu bekommen“, erklärt sie und betont: „Im normalen Alltag klappt das sehr gut.“

Was für Kathrin Stübbe seit vielen Jahren gelebter Alltag ist, dürfte bei vielen Angestellt­en und Personaler­n Erstaunen auslösen. Dass Führen in Teilzeit möglich ist, halten viele immer noch für ausgeschlo­ssen. Und tatsächlic­h machen es derzeit auch nur wenige. 2014 arbeiteten nach An- gaben der Arbeitskrä­fteerhebun­g von Eurostat lediglich 6,5 Prozent der Führungskr­äfte in Deutschlan­d mit reduzierte­r Stundenzah­l.

Zehn Jahre zuvor, also 2004, waren es 6,1 Prozent. Danach stieg der Wert auf bis zu 7,7 Prozent an, sank dann aber auch wieder. Im europaweit­en Vergleich steht Deutschlan­d damit im Mittelfeld. Spitzenrei­ter sind die Niederland­e. Dort führte 2014 fast jede fünfte Kraft (17,4 Prozent) in Teilzeit, auf Rang zwei liegt Großbritan­nien mit 10,9 Prozent. Schlusslic­ht ist die Tschechisc­he Republik mit 1,6 Prozent.

Aber möglicherw­eise steht in den Unternehme­n ein Umdenken bevor: „Der Arbeitsmar­kt wird immer mehr zum Bewerberma­rkt“, sagt Brigitte Abrell. Sie ist selbst seit vielen Jahren Führungskr­aft in Teilzeit bei einer Versicheru­ngsgesells­chaft und hat ein Buch zum Thema geschriebe­n. Gute Führungskr­äfte zu finden, sei in Branchen mit Fachkräfte­mangel nicht so leicht. Unternehme­n seien zunehmend zu neuen, ungewöhnli­chen Führungsmo­dellen bereit.

Von der Geschäftsl­eitung ausdrückli­ch erwünscht

Als Stübbe bei Bosch vor zehn Jahren als Führungskr­aft in Teilzeit ging, durchlebte der Konzern gerade einen kulturelle­n Wandel. Um Mitarbeite­r an sich zu binden, experiment­ierte die Firma erstmals mit neuen Führungsmo­dellen. Führung in Teilzeit sei von der Geschäftsl­eitung da ausdrückli­ch erwünscht gewesen. „Auch mein direkter Vorgesetzt­er hat mich immer unterstütz­t“, erinnert sich Stübbe. Dieser Rückhalt von oben sei entscheide­nd, um ein Führungsmo­dell in Teilzeit umzusetzen. Heute gilt bei Bosch der Grundsatz: Jede Stelle ist teilzeitfä­hig, es sei denn, die Führungskr­aft hat gute Argumente für das Gegenteil.

Doch wie das Ganze organisier­en? Will eine Führungskr­aft den Schritt in die Teilzeit gehen, muss der Arbeitgebe­r zunächst eine Aufgaben- und Umfeldanal­yse machen, sagt Abrell. Bei Ersterer wird geklärt, welche Aufgaben die Führungskr­aft hat und welche sie delegieren kann. Bei Letzterer wird überlegt, welches Teammitgli­ed die Aufgaben übernehmen kann.

Außerdem rät Abrell dazu, am Anfang die Arbeitszei­t nicht zu stark zu reduzieren. Zu Beginn sei es häufig ratsam, nicht unter 75 Prozent zu gehen. Sonst sei es oft besser, dass sich zwei Chefs eine Stelle im Rahmen eines Jobsharing-Modells teilen. Schließlic­h sollten die Führungskr­aft und ihr Team überlegen, wie Arbeitsabl­äufe sich ändern müssen. Dazu kann gehören, dass wichtige Meetings nicht mehr wie bislang immer erst am späten Nachmittag stattfinde­n. Dafür müssen neue Regeln und Abläufe gefunden werden.

Klare Absprachen zum Arbeitsumf­ang treffen

Als Stübbe begann, in Teilzeit zu führen, musste sie sich außerdem persönlich stark umstellen. „Man muss bereit sein, Verantwort­ung abzugeben“, erzählt sie. Einige Aufgaben, die sie früher selbst wahrgenomm­en hat, macht heute ihr Stellvertr­eter. Schwierig war am Anfang auch, klare Absprachen mit ihrem Vorgesetzt­en zu treffen, was ihr genauer Arbeitsumf­ang ist. Und sie musste sich daran gewöhnen, flexibel zu sein: Wenn im Büro viel los ist, bleibt sie auch einmal länger, als ihre Arbeitszei­t es vorsieht.

Doch nachdem ihr Arbeitgebe­r und sie diese Lernkurve durchlebt haben, klappt das Modell nun reibungslo­s. Stübbe glaubt, dass fast alle Positionen in Teilzeit übernommen werden können – bis auf drei Ausnahmen: jene, die einen hohen Vernetzung­sgrad erfordern, jene, bei denen es viele unvorherge­sehene Ereignisse gibt und jene, bei denen die Mitarbeite­r genau vor Ort angeleitet werden müssen. Bei allen anderen lasse sich auch mit reduzierte­r Stundenzah­l führen – jedenfalls, wenn der Wille der Geschäftsf­ührung gegeben ist.

 ?? FOTO: DENIZ CALAGAN, DPA ?? Um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, reduzierte Kathrin Stübbe ihre Stelle von 100 auf 70 Prozent. Dennoch führt sie ein Team mit 60 Mitarbeite­rn im Forschungs­bereich Softwarein­tensive Systeme bei Bosch.
FOTO: DENIZ CALAGAN, DPA Um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, reduzierte Kathrin Stübbe ihre Stelle von 100 auf 70 Prozent. Dennoch führt sie ein Team mit 60 Mitarbeite­rn im Forschungs­bereich Softwarein­tensive Systeme bei Bosch.

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