Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Grüne rüsten sich für Landtagswahl
Kretschmann ist Spitzenkandidat – Kritik von der SPD – Entgleisung bei Junger Union
MANNHEIM - Fünf Monate vor der Landtagswahl hat sich die Parteibasis der Landesgrünen klar zu ihrem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bekannt. Beim Delegiertentreffen am Samstag in Pforzheim kürte sie ihn mit fast 97 Prozent zum Spitzenkandidaten.
Während Kretschmann vorab auf breite Unterstützung bauen konnte, war das im Fall seines Vizes, SPDLandeschef Nils Schmid, nicht so klar. Die zuletzt schwachen Umfrageergebnisse für die Sozialdemokra- ten von 17 oder gar 16 Prozent führten zu einigem Grummeln an der Basis. Mit einer kämpferischen Rede, in der er sich vor allem von den Grünen abgrenzte, gelang es Schmid allerdings am Freitag in Mannheim, die Reihen in der Landes-SPD zu schließen. 91 Prozent der Delegierten wählten ihn erneut zum Vorsitzenden.
Besonderen Jubel erntete Schmid dann, wenn er sich den Koalitionspartner zur Brust nahm. Er zählte auf, welche Erfolge der laufenden Legislatur auf das Konto der SPD gingen, trotz Widerständen der Grünen. Kretschmann, der um seine Beliebt- heit im Land weiß, betonte hingegen das Verbindende. Er lobte die Arbeit der SPD im Kabinett ausdrücklich und betonte gemeinsame Errungenschaften von Grün-Rot – wohl wissend, dass die Koalition nur dann über die Wahl hinaus Bestand hat, wenn die Sozialdemokraten bis zum 13. März einige Prozentpunkte zulegen können.
Für Aufsehen sorgte Nikolas Löbel beim Landestag der Jungen Union in Bad Saulgau. Der Vorsitzende der CDU-Nachwuchsorganisation, den am Samstag 84,2 Prozent der Delegierten in seiner Funktion bestätig- ten, nannte den 67-jährigen Kretschmann einen „altersschwachen Ministerpräsidenten“, der keine fünf Jahre mehr schaffe. Während er hierfür Kritik aus dem grün-roten Lager erntete, eckte er bei der eigenen Partei mit der Forderung nach einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge an.
Wichtigstes Thema bei allen drei Versammlungen war die Flüchtlingspolitik. SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel warf der Unuion in Mannheim vor zwischen dem „Wir schaffen das“der Kanzlerin und dem „Grenzen zu“von CSU-Chef Seehofer zu schwanken.
MANNHEIM - Zwei Veranstaltungen, dieselbe Rede: SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel hat seine Partei am Wochenende in Mannheim und Mainz auf eine einheitliche Linie in der Flüchtlingspolitik eingeschworen – auf die Politik des Mittelwegs. Viel hängt vom Erfolg seiner Strategie ab, denn die steigende Zahl an Flüchtlingen ist das alles bestimmende Thema derzeit – und wird es wohl auch bis zu den Landtagswahlen in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz kommenden März bleiben.
Im Südwesten und im Bund sind die Sozialdemokraten derzeit der kleine Regierungspartner. Nicht leicht, sich vor den Wahlen Gehör zu verschaffen. Vizekanzler Gabriel hat die SPD beim baden-württembergischen Parteitag am Samstag in Mannheim und beim Strategie-Kongress am Sonntag in Mainz positioniert. Er bezeichnete das Motto „Wir schaffen das“von Kanzlerin Merkel als auch das „Grenzen zu“von CSUChef Seehofer als falsch.
In der Flüchtlingsfrage will Gabriel weiter Forderungen nach schnelleren Verfahren, schnelleren Rückführungen abgelehnter Asylbewerber stellen. Er weiß: „Politik richtet sich an die Mitte der Gesellschaft“, ohne dabei jedoch die Ränder zu vergessen. Über Merkels Kurs sagt er: „Die Antworten, die sie zu geben versucht, sind uns Sozialdemokraten in diesen Tagen offenbar deutlich sympathischer als weiten Teilen ihrer eigenen Partei.“
Gabriels Formel lautet „Zuversicht plus Realismus“. Am Asylrecht dürfe nicht gerüttelt werden. Aber: „Jeder weiß, dass wir nicht bedin- gungslos jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen können.“Statt sich „auf das Spiel von CDU/ CSU“einzulassen, sucht der Vizekanzler eigene Antworten. Nicht die Flüchtlinge als Problem wahrnehmen, sondern die Fluchtursachen, lautet eine. Nicht nur Unterkünfte für Asylsuchende sichern, sondern Integrationsmöglichkeiten schaffen, eine andere. Dabei spricht Gabriel von einer „doppelten Integrationsaufgabe“: die Flüchtlinge einbinden und zugleich den gesellschaftlichen Frieden sichern.
Um das Ziel zu erreichen, wünscht er sich nicht nur Sprach-, sondern auch Kulturdolmetscher. Gabriel richtet sich an Menschen mit Migrationshintergrund, die lange in Deutschland leben. Sie sollen helfen, den neuen Mitbürgern Werte wie Gleichstellung der Frau und religiöse Freiheiten zu vermitteln.
Ängste dürfen kein Tabu sein
In der Frage, ob Deutschland das schaffe, seien die Bürger uneins. Deshalb fordert Gabriel seine Genossen auf, dorthin zu gehen, „wo es stinkt, wo es Ärger gibt“. Sorgen und Ängste dürfen keine „Tabu-Zonen“sein, weil dies die Menschen sonst den Populisten und Rechtsextremen in die Arme treibe.
Die Sozialdemokraten seien die Experten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, erklärt der SPDChef. Für diesen Zusammenhalt dürfe es jedoch kein Lohndumping geben, keine Verteilungskämpfe bei Arbeit oder Wohnen. Gerade jetzt sei ein starker, auch finanziell gut ausgestatteter Staat wichtig, „sonst werden wir die Herausforderungen dieser Zeit nicht bewältigen“.