Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Brexit-Lager formieren sich
Eigentlich bleiben noch zwei Jahre Zeit. Doch beide Seiten rechnen mit der Volksabstimmung über Großbritanniens Verbleib in der EU deutlich vor dem spätestmöglichen Termin Ende 2017. Und so hat, kaum sind die Jahrestreffen der Parteien vorbei, der Schlagabtausch begonnen. Nachdem zuletzt die Austrittsbefürworter die Schlagzeilen bestimmten, geht heute das Pro-Verbleib-Lager in die Offensive. Das Land sei „stärker, sicherer und reicher“als Mitglied des Brüsseler Clubs, glaubt der Chairman der Lobbygruppe „Britain stronger in Europe“, Lord Stuart Rose.
In den Umfragen liegen die beiden Lager derzeit etwa gleichauf, mit mindestens 20 Prozent Unentschiedenen. Während im Frühjahr die EUBefürworter deutlich vorn lagen, brachten die Flüchtlingskrise und die Angst vor Einwanderung in den vergangenen Wochen den Gegnern Zugewinne. Während Waliser und Schotten sich solide für den Verbleib aussprechen, gibt es in England deut- lich mehr Skeptiker. Dem Institut YouGov zufolge wollen junge Leute unter 25 mit beinahe Zweidrittelmehrheit (64 Prozent) in der EU bleiben und 23 Prozent austreten. Bei den über 60-Jährigen hingegen liegen die EU-Feinde mit 43 bis 52 Prozent vorn.
Die Sozialdemokraten haben ihren neuen, zutiefst Europaskeptischen Vorsitzenden Jeremy Corbyn auf einen Pro-Europa-Kurs festgelegt, indem die führenden Außenpolitiker geschlossen mit Rücktritt drohten. In der Unterhausfraktion gibt es nur wenige EU-Feinde wie die frühere Sport-Staatssekretärin Kate Hoey. Hingegen wird der frühere Leiter des Gewerkschafts-Dachverbandes TUC, Brendan Barber, am Montag die neue Lobbygruppe zugunsten der EU aus der Taufe heben.
Die Überparteilichkeit der Kampagne symbolisieren auch der Getränke-Unternehmer Richard Reed (Innocent), Megan Dunn vom Studentenverband NUS und alte Labour-Schlachtrösser wie der frühere Wirtschaftsminister und EU-Kommissar Peter Mandelson und der frü- here Wissenschafts-Staatssekretär David Sainsbury, Erbe des gleichnamigen Einzelhandelskonzerns.
Den konservativen Geschäftsmann Rose, 66, für die EU-Sache gewonnen zu haben, verbucht man im Pro-Lager als Coup. Rose genießt den legendären Ruf als smarter Geschäftsmann; vor zehn Jahren rettete er den Einzelhändler Marks&Spencer. Sein Engagement deutet darauf hin, dass die Debatte schärfer als bisher den Unterschied zwischen gesunder Skepsis gegenüber der EU und ihrer völligen Ablehnung thematisieren wird.
Ausdrücklich beteuern die EUFreunde ihr nachhaltiges Interesse an Reformen, wie sie Premierminister David Cameron stets fordert. Zudem operieren sie ausdrücklich mit patriotischen Parolen. Er habe zuallererst britische Interessen im Sinn. Es wäre jedoch „ein merkwürdiger Patriotismus, der uns den Rückzug von unserem Einfluss in Europa und in der Welt nahelegt“, so Rose. Man wahre Großbritanniens Interessen durch Führerschaft, nicht durch Rückzug.