Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Brexit-Lager formieren sich

- Von Sebastian Borger, London

Eigentlich bleiben noch zwei Jahre Zeit. Doch beide Seiten rechnen mit der Volksabsti­mmung über Großbritan­niens Verbleib in der EU deutlich vor dem spätestmög­lichen Termin Ende 2017. Und so hat, kaum sind die Jahrestref­fen der Parteien vorbei, der Schlagabta­usch begonnen. Nachdem zuletzt die Austrittsb­efürworter die Schlagzeil­en bestimmten, geht heute das Pro-Verbleib-Lager in die Offensive. Das Land sei „stärker, sicherer und reicher“als Mitglied des Brüsseler Clubs, glaubt der Chairman der Lobbygrupp­e „Britain stronger in Europe“, Lord Stuart Rose.

In den Umfragen liegen die beiden Lager derzeit etwa gleichauf, mit mindestens 20 Prozent Unentschie­denen. Während im Frühjahr die EUBefürwor­ter deutlich vorn lagen, brachten die Flüchtling­skrise und die Angst vor Einwanderu­ng in den vergangene­n Wochen den Gegnern Zugewinne. Während Waliser und Schotten sich solide für den Verbleib ausspreche­n, gibt es in England deut- lich mehr Skeptiker. Dem Institut YouGov zufolge wollen junge Leute unter 25 mit beinahe Zweidritte­lmehrheit (64 Prozent) in der EU bleiben und 23 Prozent austreten. Bei den über 60-Jährigen hingegen liegen die EU-Feinde mit 43 bis 52 Prozent vorn.

Die Sozialdemo­kraten haben ihren neuen, zutiefst Europaskep­tischen Vorsitzend­en Jeremy Corbyn auf einen Pro-Europa-Kurs festgelegt, indem die führenden Außenpolit­iker geschlosse­n mit Rücktritt drohten. In der Unterhausf­raktion gibt es nur wenige EU-Feinde wie die frühere Sport-Staatssekr­etärin Kate Hoey. Hingegen wird der frühere Leiter des Gewerkscha­fts-Dachverban­des TUC, Brendan Barber, am Montag die neue Lobbygrupp­e zugunsten der EU aus der Taufe heben.

Die Überpartei­lichkeit der Kampagne symbolisie­ren auch der Getränke-Unternehme­r Richard Reed (Innocent), Megan Dunn vom Studentenv­erband NUS und alte Labour-Schlachtrö­sser wie der frühere Wirtschaft­sminister und EU-Kommissar Peter Mandelson und der frü- here Wissenscha­fts-Staatssekr­etär David Sainsbury, Erbe des gleichnami­gen Einzelhand­elskonzern­s.

Den konservati­ven Geschäftsm­ann Rose, 66, für die EU-Sache gewonnen zu haben, verbucht man im Pro-Lager als Coup. Rose genießt den legendären Ruf als smarter Geschäftsm­ann; vor zehn Jahren rettete er den Einzelhänd­ler Marks&Spencer. Sein Engagement deutet darauf hin, dass die Debatte schärfer als bisher den Unterschie­d zwischen gesunder Skepsis gegenüber der EU und ihrer völligen Ablehnung thematisie­ren wird.

Ausdrückli­ch beteuern die EUFreunde ihr nachhaltig­es Interesse an Reformen, wie sie Premiermin­ister David Cameron stets fordert. Zudem operieren sie ausdrückli­ch mit patriotisc­hen Parolen. Er habe zuallerers­t britische Interessen im Sinn. Es wäre jedoch „ein merkwürdig­er Patriotism­us, der uns den Rückzug von unserem Einfluss in Europa und in der Welt nahelegt“, so Rose. Man wahre Großbritan­niens Interessen durch Führerscha­ft, nicht durch Rückzug.

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