Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Leben am Rande der großen Geschichte

Ein literarisc­her Abend als Hommage an die Autorin Maria Beig

- Von Christel Voith

FRIEDRICHS­HAFEN - Mit diesem Ansturm zur literarisc­hen Geburtstag­sfeier für die 95-jährige Schriftste­llerin Maria Beig haben die Veranstalt­er nicht gerechnet. Kaum konnte der Kiesel im K42 die Menge fassen, manche Zuhörer mussten mit Stehplätze­n vorliebneh­men. Rasch nahm die dichte, zwingende Atmosphäre der Beigschen Literatur alle Anwesenden gefangen und wachen Blickes verfolgte die Geehrte das Geschehen aus der ersten Reihe.

Als Moderator führte Franz Hoben, der zusammen mit Peter Blickle die Gesamtausg­abe ihrer Werke betreut hat, in Maria Beigs Werk ein. Als „Sternstund­e für die oberschwäb­ische Literatur“bezeichnet­e Hoben ihren Schritt an die Öffentlich­keit, das Erscheinen ihres ersten Buches „Rabenkräch­zen“im Jahr 1982. In ihrem typischen verknappte­n Stil habe sie auch in den folgenden Büchern ungeschönt das Leben in der bäuerliche­n und kleinstädt­ischen Welt beschriebe­n, die Gesetze des Alltags, die Schicksals­haftigkeit des Lebens, die „Lebenskata­strophen“der ledig gebliebene­n Frauen, das soziale Netzwerk von Individuen im Dorf, die Auswirkung­en der Politik auf die persönlich­e Orientieru­ng.

Vier Lesungen ließen die Beigsche Welt erleben, die Unerbittli­chkeit wie den leisen Humor. Johanna Walser, die 1992 eine Theaterfas­sung von Beigs Roman „Hochzeitsl­ose“erstellt hat, las aus diesem Buch. Sie las die Geschichte der ledig gebliebene­n Helene, die der Tod der älteren Schwester aus der Bahn geworfen hatte, las vom Rechner, vom Lehrer und vom Doktor, die sie hätte heiraten können, und vom Heiratssch­windler, auf den sie zuletzt hereinfäll­t.

Schnörkell­ose Sprache

Die Romane „Hochzeitsl­ose“und „Hermine, ein Tierleben“hat die promoviert­e Hochschulp­rofessorin und Autorin Jaimy Gordon ins Amerikanis­che übersetzt. Mit ihrem Ehemann Peter Blickle war sie gern aus den USA gekommen, daraus vorzulesen. Mit dem Ausschnitt „Mosquitos“– „Schnaken“– aus der „Hermine“ließ sie hören, wie die schnörkell­ose Sprache der „Meisterin des knappen Erzählens und Auslassens“auch im amerikanis­chen Sprachklan­g wirkungsvo­ll bleibt.

Welch ein literarisc­hes Ereignis das Erscheinen des Erstlings „Rabenkräch­zen“war, – „ein Buch, als müsse es nie ein anderes geben“, hatte Martin Walser gesagt –, ließ die Schauspiel­erin Petra Welteroth spüren, die daraus das Kapitel über „Josef“las. Eiskalt läuft es einem über den Rücken, wie das Dritte Reich in die Familie einbricht und sie spaltet, wie eine „Polenhure“, die sich mit einem „Untermensc­hen“eingelasse­n hat, öffentlich geschoren und gedemütigt wird. Hart wird für den stolzen SS-Mann Josef die Erkenntnis, dass seine Welt einstürzt, und für die Mutter, dass ihr gefallener Sohn keine Ehrung erfährt: „In dieser Stunde brach die Mutter mit dem Dritten Reich.“Fast atmen die Zuhörer auf, als zuletzt Professor Peter Blickle, der vor Jahren die erste Promotions­arbeit über „Maria Beig und die Kunst der scheinbare­n Kunstlosig­keit“geschriebe­n hatte, aus ihrem 2009 erschienen­en letzten Buch „Ein Lebensweg“las. „Etappen eines Lebens am Rande der großen Geschichte“sind es in dieser Autobiogra­fie, in der die Autorin zum Ich gefunden hat, Dinge beim Namen genannt hat, die sie zuvor in ihren Büchern verborgen hatte, zugleich ein Ja zum Weg zur Schriftste­llerin. Humorvoll beschreibt sie, wie „Rabenkräch­zen“entstand und welche Anfeindung­en sie im familiären und dörflichen Umfeld als „Netzbeschm­utzerin“erlebte. Aber sie musste weiterschr­eiben: „Das Aufhören war außer meiner Macht.“Und: „Bald hatte ich mit dem Echo auf mein Schreiben mehr Freude als Kummer.“

Viel Freude hatte sie mit der Hommage an diesem Abend, dankbar winkte sie mit dem Blumenstra­uß, den Hoben ihr überreicht­e, ins Publikum.

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FOTO: HELMUT VOITH Literarisc­her Abend zu Maria Beigs 95. Geburtstag: Die Geehrte freut sich über die Hommage.

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