Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Auf einen Schlag losgelöst

Ein Nasenstübe­r weckt bei den Ulmer Basketball­ern beim 95:73 über Hagen ungeahnte Kräfte

- Von Jürgen Schattmann

- Manchmal muss einer erst K.o. sein, machtlos, am Boden liegen, sich vor Schmerzen krümmen, damit sich im Leben etwas ändert, und so war das am Samstagabe­nd auch bei den Ulmer Basketball­ern im Heimspiel gegen Hagen. Raymar Morgan, Ulms Center, der so hartnäckig auf seinem Mundschutz herumkauen kann, dass man sich manchmal fragt, wozu er ihn eigentlich braucht, hatte nach 24 Minuten einen Schlag ins Gesicht erhalten. Exakt formuliert handelte es sich um die ungeschütz­te Nase, jedenfalls lag er jetzt da, blutend. Als der 27-Jährige, bis dato mit 15 Zählern bester Ulmer Werfer, nach fünfminüti­ger Behandlung kapitulier­en und vom Feld gehen musste, da kochte die Volksseele. Viele der 6200 Zuschauer pfiffen die Gäste fortan bei jedem Angriff aus, es war eine Stimmung, wie man sie sich beim Jüngsten Gericht vorstellt – obschon dem Hagener, der Morgan da zu Fall gebracht hatte, kein Vorwurf zu machen war.

Wie das Leben dann aber so spielt: Die Ulmer schien das Fehlen eines ihrer wichtigste­n, weil längsten Männer, zusammenzu­schweißen, die Hagener waren offenbar von der feindliche­n Kulisse beeindruck­t. Plötzlich wurde aus einer Partie, die beim Stand von 51:49 auf Messers Schneide stand, eine einseitige Angelegenh­eit. Mit einem 7:0-Lauf zogen die Ulmer davon, sie waren nicht mehr zu halten, am Ende des Viertels hieß es 75:58, am Ende des Spiels 95:73.

Vor allem Kapitän Per Günther, bereits beim Sieg in Bremerhave­n brillant, wuchs in der kritischen Phase mit seiner Dynamik, seinem Spielwitz und seiner Übersicht über sich hinaus: 25 Punkte (davon vier Dreier) und acht Assists gelangen dem Nationalsp­ieler gegen seinen Ex-Verein, allein 14 Zähler holte er im dritten Viertel, „als er einen Flow hatte“, wie Hagens Trainer Ingo Freyer ernüchtert feststellt­e. „Per hat es im dritten Viertel entschiede­n, und das war unsere Schuld: Wenn wir ihn mit vier, fünf Korblegern in einen Rhythmus kom- men lassen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn er plötzlich aus zehn Metern einen Dreier wirft.“

Morgans Verletzung habe mit der Entwicklun­g im dritten Viertel nur wenig zu tun gehabt, meinten beide Trainer unisono: „Wir haben schon im zweiten Viertel gut verteidigt, im dritten noch besser, und dann wurden Ulms Trainer Thorsten Leibenath

über seinen Kapitän Günther wir auch in der Offensive besser“, fand der Ulmer Thorsten Leibenath, lobte seinen Kapitän („Per hat uns getragen“), räumte aber immerhin ein, „dass wir wussten, dass wir nach Morgans Ausfall noch enger zusammenrü­cken müssen“. Genauso, wie die Ulmer spätestens nach dem ersten Viertel wussten, dass man den Hagener Scharfschü­tzen Ivan Elliott besser streng im Blick haben sollte. Der hatte doch tatsächlic­h 18 Punkte in zehn Minuten erzielt, davon fünf Dreier bei sechs Versuchen. Erst dann hatten ihn die Ulmer im Griff: Bis zum Spielschlu­ss kamen nur noch zwei Pünktchen hinzu.

Für Leibenath war der zweite Saisonsieg im vierten Spiel auch einer, der beruhigte. Man habe sich nun zum dritten Mal in Folge gesteigert, sei 40 Minuten lang fokussiert gewesen. „Es war eine sehr gute Leistung zu diesem Zeitpunkt der Saison.“Zumal Defensivsp­ezialist Taylor Braun wegen einer Rückenverl­etzung fehlte (der gerade verpflicht­ete Spanier Jose Salvador Arco, der für einige Wochen dem Team helfen soll, absolviert­e dafür seine ersten Minuten), und zumal der fast ein Jahr lang Verletzte Carlon Brown noch viel Luft nach oben hat. Nur zwei der zehn Versuche des Shooting Guards fanden ihr Ziel. „Carlon hat im Vergleich zu den anderen nur die Hälfte der Spiele absolviert, geben wir ihm noch Zeit“, sagte Leibenath. „Noch läuft nicht alles rund bei ihm, aber er wird kommen.“

Dafür zeigt die Form von Augustine Rubit (20 Punkte) und DeAndre Kane weiter nach oben. Der Guard kam auf 13 Punkte, 15 Rebounds und neun Assists und hatte daneben noch Zeit, sich ein hitziges Wortgefech­t mit dem Trainer zu liefern, wobei der Großteil der Hitzigkeit auf Leibenaths Konto ging. Der Coach nahm es mit Humor: „Kane ist mit allem was ich sage zufrieden. Ich bin sehr emotional in so einem Spiel, das sieht immer schlimmer aus, als es ist.“

Und exakt so war es im Übrigen auch mit Raymar Morgan, dem Mann am Boden. Sein zunächst prophezeit­er Nasenbeinb­ruch entpuppte sich als Prellung, der Mann, der Ulm ins Rollen brachte, dürfte am Mittwoch beim Eurocup-Auftakt in der Ratiopharm-Arena gegen Venedig (19.30 Uhr) also wieder dabei sein.

„Per hat uns getragen“

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