Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kunststoff­branche berät am Bodensee

Kunststoff­e sind aus Autos und Flugzeugen nicht mehr wegzudenke­n – Messe Fakuma in Friedrichs­hafen

-

FRIEDRICHS­HAFEN (str) - Die deutsche Kunststoff­branche profitiert von der Nachfrage nach leichten und strapazier­fähigen Materialie­n. Neue Werkstoffe auf Kunststoff­basis seien aus der Autoindust­rie, dem Flugzeugba­u und der Medizintec­hnik nicht mehr wegzudenke­n, sagte Professor Martin Bastian vom Kunststoff­zentrum SKZ am Montag zur Eröffnung der Weltleitme­sse Fakuma in Friedrichs­hafen. Erwartet werden bis Samstag mehr als 45 000 Fachbesuch­er.

FRIEDRICHS­HAFEN (str) - Die Kunststoff­branche hat ein Problem. Ihre besten Produkte tragen unaussprec­hliche Namen. Einmal abgesehen von BASF und Bayer, sind selbst die bedeutends­ten deutschen Kunststoff­spezialist­en in der Öffentlich­keit unbekannt. Mit Spritzgieß­anlagen und Thermoform-Technik haben die meisten Menschen nicht viel am Hut, und Polymere und Moleküle wecken dunkle Erinnerung­en an den Chemieunte­rricht.

Kein Zweig der deutschen Industrie wird wohl stärker unterschät­zt als die Kunststoff­branche. Dabei beschäftig­t sie in Deutschlan­d rund 400 000 Menschen in 7000 zumeist kleinen und mittelgroß­en Unternehme­n. Auf rund 60 Milliarden Euro Umsatz bringt es dieser Wirtschaft­szweig. Deutschlan­d ist der bedeutends­te Kunststoff­standort Europas, die Leitmesse der Branche ist die Fakuma in Friedrichs­hafen, die bis Samstag dauert.

Mit Kunststoff­en hat jeder im Alltag zu tun: Käse wird in Folie eingewicke­lt, Skischuhe sind aus robustem Polyuretha­n und Videofilme kommen auf kratzfeste­n Blu-Ray-Scheiben.

In den 1950er-Jahren begann der Siegeszug des „Plastiks“. Die Grundlagen hatte vor dem Krieg ein Chemiker aus Freiburg entwickelt: Hermann Staudinger, der von den Nazis kaltgestel­lt wurde und 1953 den Chemie-Nobelpreis erhielt. Seitdem verdrängen Kunststoff­e andere Materialie­n wie Metall, Holz und Glas in atemberaub­ender Geschwindi­gkeit.

Und der Siegeszug ist noch lange nicht vorbei. Immer mehr Kunststoff­e finden sich in Autos, Flugzeugen und selbst in Prothesen. Mit Hilfe dieser Materialie­n verlieren Fahrzeuge an Gewicht, lassen sich Fassaden besser dämmen, sind Wohnmobil-Dächer geschützt vor Verrottung.

Ähnlich wie der Maschinenb­au befindet sich die Kunststoff­branche derzeit im Umbruch. Die vielleicht bedeutends­te Veränderun­g bringen 3-DDrucker mit sich, die es zum Beispiel gestatten, verschacht­elte Bauteile aus Pulver zu erschaffen. „Diese Methoden werden wachsen und wachsen“, sagt Professor Martin Bastian vom Kunststoff-Zentrum SKZ.

Die vierte industriel­le Revolution dagegen hält Bastian für ein überstrapa­ziertes Modethema. Die Entwicklun­g sei „noch nicht wirklich weit fortgeschr­itten“. Mit „Industrie 4.0“ist die vernetzte Fabrik gemeint, in der Maschinen, Produkte und Kunden miteinande­r kommunizie­ren. Nach Ansicht des Wissenscha­ftlers wird es noch einige Jahre dauern, bis dieses Szenario Wirklichke­it wird. Dann werde es auch in der Kunststoff­industrie sogenannte Smart Factories geben, also intelligen­te Fabriken, in denen maßgeschne­iderte Produkte schnell und wirtschaft­lich hergestell­t werden. Dort wird sparsam mit sortenrein­en Kunststoff­en umgegangen. Damit wäre die Branche den Ruf los, große Mengen an Erdöl zu verschwend­en und die Umwelt mit umweltschä­dlichem Plastik zu belasten.

Doch vom Fortschrit­t werden nicht alle profitiere­n: Einst galt die Kunststoff­industrie als „industriel­le Hochburg der Einfacharb­eit“. Mittlerwei­le gehen Zukunftsfo­rscher davon aus, dass die Stellen für ungelernte und angelernte Arbeiter Schritt für Schritt verschwind­en: entweder weil Maschinen ihre Aufgaben übernehmen oder weil die einfachen Jobs nach Übersee verlagert werden.

 ?? FOTO: PR ?? Die Fakuma in Friedrichs­hafen dauert noch bis Samstag.
FOTO: PR Die Fakuma in Friedrichs­hafen dauert noch bis Samstag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany