Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Buchpreis für Frank Witzel
Deutscher Buchpreis geht an Frank Witzel – Ein Roman wie ein Tsunami
FRANKFURT (sz) - Der Gewinner des Deutschen Buchpreises 2015 heißt Frank Witzel. Er erhält die Auszeichnung in Höhe von 25 000 Euro für seinen Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“. „Frank Witzels Werk ist ein im besten Sinne maßloses Romankonstrukt“, heißt es in der Begründung der Jury. Der Autor, Jahrgang 1955, lebt in Offenbach.
FRANKFURT/MAIN (DPA) - Trotz hervorragender Kritiken war Frank Witzel beim Deutschen Buchpreis alles andere als ein Favorit. Sein 800Seiten-Wälzer über die Jugend in der hessischen Provinz gilt für den breiten Markt als eher schwierig. Die Jury hat sich nicht abschrecken lassen.
Der 13-Jährige hat seinen wertvollsten Ritter mit schwarzglänzender Rüstung Andreas Baader genannt, Gudrun Ensslin ist eine Indianersquaw aus braunem Plastik: In seinem Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“hat Frank Witzel aus der Sicht eines Heranwachsenden die Atmosphäre und den Geruch der alten Bundesrepublik wiederbelebt. Dafür hat er am Montagabend überraschend den Deutschen Buchpreis erhalten.
Der 60-Jährige kann bei der Bekanntgabe im Kaisersaal des Frankfurter Rathauses das selbst kaum fassen. „Ich gestehe jedem zu, es (das Buch) künftig nur noch ,Erfindung’ zu nennen“, witzelt er zu seinem sperrigen Titel.
Nicht einfach zu lesen
Auf 800 Seiten hat der Autor ein großes Panorama entfaltet, das dank zahlreicher Perspektivwechsel keineswegs chronologisch geordnet ist. Mit überbordender Fantasie und einer Vielfalt an literarischen Formen schildert Witzel, wie der muffigen Bundesrepublik der Nachkriegszeit von der Popkultur in den 1960er- und 1970er-Jahren so ganz allmählich der Garaus gemacht wird. Der Ich-Erzähler, 1955 geboren wie Witzel selbst, befreit sich vor allem mithilfe der Musik in Wiesbaden-Biebrich aus der Enge seiner erzkatholischen Umgebung.
„Das Buch ist wie ein Tsunami“, würdigt Jurorin Bettina Schulte den Roman. Daran hat Witzel über ein Jahrzehnt lang gearbeitet. Es ist nicht durcherzählt, sondern mehr eine steinbruchartige Materialsammlung, für die die Kritik aber durchweg Superlative gefunden hat. Lange ist Frank Witzel nicht sicher gewesen, ob es letztlich wirklich gelungen ist. Aber sein Freund und Kollege Ingo Schultze („Simple Stories“) habe ihn bestärkt, erzählt der Autor.
Im Finale des Buchpreises galt Witzel, der heute in Offenbach lebt, als krasser Außenseiter. Sein Wälzer ist eben nicht einfach zu lesen. Als Siegerin wurde stattdessen Jenny Erpenbecks Flüchtlingsdrama („Gehen, ging, gegangen“) erwartet – unbestritten das Werk der Stunde, das ebenfalls auf der Shortlist stand. Literarisch ist Erpenbecks Buch, in dem sich ein pensionierter Berliner Professor für afrikanische Flüchtlinge engagiert, allerdings konventionell gestrickt.
Dass die siebenköpfige Jury sich aller Unkenrufe zum Trotz für Witzel entschied, ist eine mutige Ansage. Auch gegen die Gesetze der Branche, die beim Deutschen Buchpreis einen möglichst im Handel vermarktbaren Roman erwartet. Im vergangenen Jahr wurden diese Erwartungen mit Lutz Seilers auf Hiddensee spielendem DDR-Aussteigerroman „Kruso“erfüllt. Er wurde ein großer Bestseller. Dieses Jahr könnte das mit dem neuen Preisträger womöglich nicht so leicht werden.