Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Angeklagter bestreitet Vorwürfe
Landgericht verhandelt sexuellen Missbrauch.
FRIEDRICHSHAFEN - Weil er sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren an seiner kleinen Halbschwester vergangen haben soll, muss sich ein Mann aus dem Bodenseekreis seit Montag vor dem Landgericht Ravensburg verantworten. Am ersten Verhandlungstag hat der inzwischen 25-jährige Mann alle Vorwürfe abgestritten.
Ein 17-Jähriger fragt: „Willst du wissen, was Sex ist?“Seine sechsjährige Halbschwester antwortet: „Ja.“Mit diesem Dialog soll am 15. Februar 2008 eine Serie von sexuellen Übergriffen begonnen haben, die seit Montag vor dem Landgericht verhandelt wird. Bis zum 9. März 2012 soll sich der junge Mann laut Anklageschrift 50 Mal an dem kleinen Mädchen vergangen haben. Über viele Jahre hat sie geschwiegen, zur Polizei geht sie erst im August 2014.
Bei der Befragung durch das Gericht berichtete der Angeklagte zunächst von den Schwierigkeiten in der Patchwork-Familie, vom gewalttätigen Stiefvater und den gesund- heitlichen Problemen der Mutter. Als die Tatvorwürfe zur Sprache kamen, erklärte er nur: „Ich habe meiner Schwester niemals etwas angetan. Ob er eine Erklärung dafür habe, dass die Schwester gegen ihn solch massive Anschuldigungen erhebt? Dass ihre Vernehmung durch Spezialisten der Kripo ein 30-seitiges Protokoll füllt? „Keine Ahnung.“Der 25-Jährige erklärte, er sei überzeugt, dass seine kleine Schwester, die er als „blauäugig“charakterisierte, von anderen Familienmitgliedern gegen ihn aufgehetzt worden sei. Und warum? „Weil sie mich fertig machen wollen.“
Auf die Frage, ob ihm innerhalb der Familie früher schon einmal Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gemacht wurde, sagte der 25-Jährige, dass er sich daran nicht erinnern könne. Misstrauisch geworden durch diese schwammige Bemerkung, bohrten sowohl Richter als auch Staatsanwalt an dieser Stelle nach. Bei der intensiven Nachfrage stellte sich schließlich heraus, dass es einmal einen Vorfall gegeben hatte, als das Mädchen fünf Jahre alt gewesen war. Der Angeklagte selbst konnte – oder wollte – sich dazu nicht äußern. Er sei in jener Nacht im Jahr 2007 betrunken gewesen und habe einen totalen Filmriss. Offenbar hatte die Familie damals versucht, den Vorfall intern zu behandeln beziehungsweise unter den Tisch zu kehren. Mit ihrer Einschätzung zu den Angaben des Angeklagten hielten die Richter nicht hinterm Berg. „Es gibt in Ihrer Aussage viele Hin und Hers“, stellte der Beisitzer klar und empfahl dem 25-Jährigen relativ unverblümt, seine Verteidigungsstrategie zu überdenken. Denn wenn er dabei bleibe, die Taten zu bestreiten, müsse die kleine Schwester in den Zeugenstand geladen werden. „Und dann werden wir ins Detail gehen“, betonte der Beisitzer.
Obwohl er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hätte berufen können, sagte am ersten Verhandlungstag der ältere Bruder des Angeklagten aus. Das Verhältnis beschrieb er als zerrüttet. „Es passt halt nicht miteinander“, ließ er wissen. Der Kontakt sei abgerissen, nachdem die aktuellen Missbrauchsvorwürfe aufgekommen waren.
„Es gibt in Ihrer Aussage viele Hin und Hers.“Der Richter zum Angeklagten
„Diskrete“Lösung gesucht
Er bestätigte, dass es schon 2007 einen Vorfall gegeben hatte. Die Mutter habe diese Sache aber im Sande verlaufen lassen. Von den neuen Anschuldigungen habe er vom Vater, dem sich seine Halbschwester anvertraut hatte, erfahren. Als eine Psychologin nach Gesprächen mit dem Mädchen erklärt hatte, dass an den Vorwürfen etwas dran sein müsste, habe man das Thema „diskret“behandeln wollen. Er habe versucht, neutral zu bleiben. Keinesfalls habe er Hass geschürt, sagte der Bruder. Die Verhandlung wird am
um 9.30 Uhr fortgesetzt.