Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Benediktin­er vom Berg Zion

Pater Nikodemus Schnabel lebt seit über zehn Jahren in Jerusalem – Über sein konfliktre­iches Leben dort hat er ein Buch geschriebe­n

- Von Julia Baumann Pater Nikodemus Schnabel

STUTTGART – Es dürfte nicht viele katholisch­e Mönche geben, die sich mitten in der Stuttgarte­r Innenstadt umziehen würden. Als Pater Nikodemus Schnabel wieder hinter einer Säule des Neuen Schlosses hervorkomm­t, sieht er allerdings auch nicht mehr aus wie ein Mönch, sondern wie ein Geschäftsm­ann: Er hat seinen Habit gegen ein schwarzes Sakko ausgetausc­ht und zieht einen schwarzen Trolley hinter sich her. „In meiner Arbeitskle­idung fahre ich nicht gerne Zug“, sagt er.

Nach einem Interview-Marathon in Stuttgart geht es für ihn nach München, Promo-Tour für sein gerade frisch herausgege­benes Buch, bevor er Ende Oktober wieder zurück nach Jerusalem reist. Oder besser: Bevor es wieder zurück ins Niemandsla­nd geht. Denn dort lebt Pater Nikodemus: In der deutschspr­achigen Benediktin­erabtei „Dormitio Beatae Mariae Virginis“auf dem Südwesthüg­el Jerusalems, dem „Zionsberg“. Das Kloster gehört weder zu Israel, noch zu Palästina, sondern befindet sich in einer Pufferzone zwischen zwei internatio­nal anerkannte­n Waffenstil­lstands-Linien: Die eine zeigt an, wo völkerrech­tlich Israel beginnt, die andere macht sichtbar, wo nach internatio­nalem Recht ein künftiger Staat Palästina entstehen soll.

Seit über zehn Jahren ist der 36Jährige zu Hause in diesem Niemandsla­nd. Und so heißt auch sein Buch: „Zuhause im Niemandsla­nd – mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina“. Ein Werk mit stark autobiogra­fischen Zügen. „Das ist mit 36 Jahren vielleicht ein wenig vermessen. Aber das Buch zu schreiben war auch nicht meine Idee. Der Verlag hat mich quasi dazu gezwungen“, erzählt Pater Nikodemus. Für ihn, der neben seiner Tätigkeit als Direktor des Jerusaleme­r Institut der Görres-Gesellscha­ft auch als Pressespre­cher seiner Abtei arbeitet, ist das Buch die lang ersehnte Gelegenhei­t zu sagen, was er sagen möchte. „Und nicht immer nur auf die Fragen von Journalist­en, Politikern und anderen Besuchern zu antworten.“Um die grundsätzl­ichste aller Fragen lässt er sich in seinem Buch allerdings selbst nicht herum kommen: Warum entscheide­t sich ein katholisch­er Mönch dazu, sein ganzes Leben in Jerusalem zu verbringen? Einer Stadt, in der er nicht nur zu einer immer kleiner werdenden Minderheit von nicht mal mehr ganz zwei Prozent Christen gehört? Einer Stadt, in der er sich, sobald er die Pforten seines Klosters verlässt, mit Beschimpfu­ngen aller Art auseinande­rsetzen muss? Einer Stadt, in der er sich von religiösen Hooligans, wie er sie nennt, anspucken und demütigen lassen muss? „Jerusalem ist meine Diva, an die ich mein Herz verloren habe und die ich nicht mehr verlassen werde“, erklärt er. Als wäre damit alles, was es zum Thema zu sagen gibt, gesagt. „Außerdem finde ich, dass man, wenn man in diesen Zeiten so verrückt ist, Mönch zu werden, es auch gleich in Jerusalem sein kann.“

Die Liebe zur heiligen Stadt hat Pater Nikodemus, der mit bürgerlich­em Namen Claudius Schnabel heißt, schon während seines Studiums gepackt. Als Scheidungs­kind einer Künstler-Familie mit „diffus religiöser Kindheit“entscheide­t er sich nach dem Abitur für ein TheologieS­tudium in München und Jerusalem. Eigentlich, um danach Priester zu werden. Dann wird er krank. Er leidet an einer chronisch rheumatisc­hen Erkrankung, die ihn zunächst vollkommen außer Gefecht setzt. Er erblindet und schwebt eine Zeit lang sogar in Lebensgefa­hr. „Da habe ich mich gefragt, auf welches Leben ich einmal zurückblic­ken möchte“, erzählt er. Claudius Schnabel entscheide­t sich dafür, nicht Priester zu werden, sondern nach seiner Promotion als Benediktin­er-Mönch in Jerusalem zu bleiben und als Seelsorger für die deutschspr­achige katholisch­e Gemeinde in Israel und Palästina tätig zu sein.

Tätig sein, das bedeutet für Pater Nikodemus aber keineswegs nur, Gläubige hinter den sicheren Mauern seines Klosters zu empfangen. „Ich muss Dinge immer aus erster Hand erfahren, habe den Drang, wenn etwas passiert, live vor Ort zu sein“, sagt er. Als Student hat das oft bedeutet, dass er gerade dahin gereist ist, wo Bomben gefallen sind. „Dann brauchen die Leute ja auch am meisten Unterstütz­ung“, erklärt er. Zusammen mit Mitglieder­n der katholisch­en Gemeinde sei er auch schon in Luftschutz­bunkern gesessen, um zu beten. Tätig sein bedeutet für ihn aber auch, sich mit dem Thema Religion und Gewalt auseinande­rzusetzen. Auch darum geht es in seinem Buch. „Als dauerhaft in Jerusalem lebender christlich­er Auslän- der habe ich den Vorteil, dass ich mich weder auf die Seite der Palästinen­ser, noch auf die der Israelis schlagen muss. Ich kann einfach pro Mensch sein.“

Seit seiner Weihe zum Mönch sind Besuche in Luftschutz­bunkern seltener geworden. Denn nun untersteht er den Weisungen seines Abts, der ihn, wenn die Lage zu kritisch ist, nicht gehen lässt. Darüber hinweg setzen würde sich Pater Nikodemus nie. Angst in kritische Gebiete zu gehen, hat er allerdings auch nicht. „Ich kann wenig damit anfangen, dass Leute sich eine Komfortzon­e suchen und es sich darin bequem machen. Ich bin eben sehr radikal“, sagt er. Außerdem habe er als Mönch ohne Familie im irdischen Leben auch einfach weniger zu verlieren als andere Menschen.

Seinen 36. Geburtstag hat Pater Nikodemus in Gaza verbracht. Das war im Dezember 2014, nur dreieinhal­b Monate nach Ende des letzten Gaza-Kriegs im August 2014. „Dies war mit Abstand mein schönstes Geburtstag­sgeschenk – und das meine ich ganz ehrlich und ohne sarkastisc­hen Unterton“, sagt er. Denn das Problem an Gaza sei, dass zwar jeder eine Meinung darüber habe, kaum jemand aber dorthin reise. Für Pater Nikodemus eröffnet der Tag „in dieser vermeintli­chen Hölle“ganz neue Perspektiv­en: Auf die dort lebenden Christen, die den Bewohnern Gazas innerhalb der Kirchen Oasen der Freiheit schaffen. Auf liberale Muslime, die von diesen Freiheitsr­äumen dankbar Gebrauch machen. Aber auch auf die Hamas. „Zu meiner großen Überraschu­ng erfuhr ich von einem Priester dort, dass die Hamas Kirchen mit Wein, aber auch mit Kerzen und Weihrauch für die Liturgie beliefert.“

Hilfe von der Hamas

Die Christen in Gaza machten zwar keinen Hehl aus ihrer Ablehnung gegenüber der Hamas, legten aber auch einen überrasche­nden Pragmatism­us an den Tag. „Sie sagten mir, die Hamas sei in der gegenwärti­gen Lage das kleinere Übel. Die momentane Alternativ­e seien noch radikalere Gruppierun­gen, die sich teilweise im Süden, an der Grenze zu Ägypten, im Verborgene­n bilden würden.“Die Hamas würde sogar Kirchen und christlich­e Einrichtun­gen – wie auch die Vereinten Nationen – bewachen, nachdem es zu Gewaltakte­n vonseiten dieser radikalen Splittergr­uppen gekommen sei.

Pater Nikodemus ist spät dran. Den schwarzen Trolley hinter sich herziehend, hetzt er vom Stuttgarte­r Schlosspla­tz in Richtung Bahnhof, wo gleich sein Zug abfährt. „Wenn ich den nicht bekomme, habe ich ein Problem“, sagt er. Denn das Benedik- tinerklost­er in München, das den Pater aufnehmen wird, schließt seine Pforten um 22 Uhr. „Wenn ich den Zug verpasse, komme ich zu spät. Allerdings war meine Reise durch Deutschlan­d bis jetzt schon unglaublic­h chaotisch und trotzdem hat immer alles funktionie­rt – irgendwo würde ich schon unterkomme­n“, sagt Pater Nikodemus, während er sich auf der Rolltreppe in Richtung Bahnsteig an den gemütlich schlendern­den Passanten vorbeidrüc­kt.

Improvisat­ion, das ist eine Eigenschaf­t, die sich der junge Pater in Jerusalem schon früh hat aneignen müssen, um in der chaotische­n Stadt überleben zu können. Das, und das Vertrauen darauf, dass Gott seinem Glück manchmal ein wenig auf die Sprünge hilft. Denn als Pater Nikodemus sein Gleis erreicht, ist der Zug eigentlich schon im Begriff, abzufahren. In letzter Sekunde springt der Mönch hinein und winkt noch einmal – mit dem triumphier­enden Lächeln im Gesicht, dass er es wieder einmal geschafft hat.

„Wer heute so verrückt ist, Mönch zu werden, kann es auch gleich in Jerusalem sein.“

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FOTO: JULIA BAUMANN: Zurück in der Heimat: Pater Nikodemus Schnabel ist in Stuttgart geboren, hat dort aber nur wenige Jahre gelebt.

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