Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Ich denke, dass mich die Haft weiterbringt“
Auf Polizeiboot geklettert und Feuerlöscher geklaut: 19-Jährige zu Jugendstrafe verurteilt
FRIEDRICHSHAFEN – Das Amtsgericht Tettnang hat eine 19-jährige Frau aus dem Bodenseekreis zu einem Jahr und acht Monaten Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt. Das Schöffengericht sah es als erwiesen an, dass sich die junge Frau in mehreren Fällen von Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung, Missbrauch von Nothilfemitteln und Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht hatte. Mit dem Urteil lag das Jugendschöffengericht voll auf Linie von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Sozialarbeitern.
Im April soll die 19-Jährige mit einem Freund auf ein Polizeiboot im Friedrichshafener Hafen geklettert sein und auf der Frontscheibe den Schriftzug „ACAB“, die englischsprachige abgekürzte Parole für „All cops are bastards“, hinterlassen haben. Die Angeklagte und ihr Begleiter wurden vom Kapitän der schweizerischen Fähre beobachtet. Die Meldung ging an die Polizei. Im Hafenbereich trug die 19-Jährige einen persönlichen Kampf mit den Polizisten aus, wehrte sich gegen eine Festnahme, versuchte zu fliehen, weigerte sich, sich auf der Wache fotografieren zu lassen, zog sich die Kapuze über das Gesicht.
„Warum?“
Es ist der Inhalt einer ersten Anklageschrift, die am Mittwoch vor dem Schöffengericht verlesen wurde. Zehn weitere Anklageschriften folgten und immer wieder war die Rede von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. „Warum? Warum setzt es bei Ihnen bei der Polizei immer wieder aus?“, fragt Jugendschöffenrichter Martin Hussels die 19-Jährige. „Ich habe ein Problem mit Autoritäten“, sagt die Angeklagte leise, verschränkt die Arme, blickt auf den Tisch.
Seit Monaten sind ihr Name, der Werdegang, die familiären Hintergründe der Justiz bekannt: Als knapp Zehnjährige erlebt sie die Trennung ihrer Eltern, lebt zunächst bei der Mutter, dann beim Vater, schließlich im Heim. 2014 wurde sie wegen Straftaten zu einer Freiheitstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt. In der Justizvollzugsanstalt in Schwäbisch Gmünd holte sie ihren Hauptschulabschluss nach, ihre Reststrafe wurde im September 2015 zur Bewährung ausgesetzt. Ende Juni 2016 war die Angeklagte für drei Monate erneut in der JVA – auf eigenen Wunsch, denn sie selbst wiederrief die Bewährung.
In der Zeit zwischen den beiden JVA-Aufenthalten wiederholten sich alte Muster, Straftaten häuften sich: Die Anklageschriften sprechen von drei Bahnfahrten ohne Fahrschein im Februar und März dieses Jahres, der Sachbeschädigung des Polizeibootes im April, dreimaligem Fahren ohne Fahrerlaubnis im Mai, mehrmals klaut sie im Mai und Juni Feuerlöscher aus Parkhäusern und versprüht den Inhalt – mal mit anderen, mal allein. Die Angeklagte ist vor Gericht ruhig, geständig, räumt jede Tat ein – auch dass sie sich bei Festnahmen oft aggressiv der Polizei widersetzte.
„Es ist immer dasselbe Muster“, schilderte ein Polizist dem Schöffengericht seinen Eindruck. Gehe es nicht nach ihrem Kopf, reagiere sie pubertär und trotzig. „Das ist vielleicht eine Art Hilferuf: Kaum draußen, will sie rein, damit sie versorgt ist.“Auch nach der zweiten Entlassung, Ende September, habe sich nichts geändert: „Sie hält uns jede Nacht auf Trab.“Wohin es gehen soll, weiß die Angeklagte auf Nachfrage des Richters selbst nicht, sagt vor der Urteilsverkündung nur: „Ich denke, dass mich die Haft ein Stück weiterbringt und ich es dann geregelt bekomme.“
Ein Punkt, den der Richter in seinem Urteil aufgriff: Eine solch enge Struktur, wie die Angeklagte sie benötige, gebe es nur in der JVA. „Wir sehen keine andere Möglichkeit.“Ein Jahr und acht Monate – eine Dauer der Jugendstrafe, die die Angeklagte auch dazu bringen soll, in dem „geschützten Rahmen“der JVA den Realschulabschluss nachzuholen, denn die Strafe endet unmittelbar nach den Abschlussprüfungen.