Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Union macht Merkel zur Kandidatin
Streit um eine Obergrenze für Flüchtlinge bleibt ungeklärt
- CDU und CSU haben ihre Streitigkeiten über die Zuwanderung überwunden und ziehen vor der Bundestagswahl an einem Strang. Das war die Kernbotschaft eines Auftritts von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nach der gemeinsamen Sitzung der Präsidien beider Schwesterparteien am Montag in München.
Bei diesem Treffen erklärten die Unionsparteien Merkel zu ihrer Kanzlerkandidatin. „Die Kanzlerschaft von Angela Merkel macht viel Sinn“, versicherte Seehofer vor Journalisten. „Denn sie gewährleistet, dass die deutschen Interessen weiter in der Welt beachtet werden.“
Seit mehr als einem Jahr war die Union über die Asylpolitik Merkels gespalten. Seehofer hatte die Grenzöffnung für Flüchtlinge im Herbst 2015 „eine Herrschaft des Unrechts“genannt. Die von der CSU geforderte Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr sei bei dem zweitägigen Treffen in München ein kontroverses Thema gewesen, bestätigten beide Parteichefs. „Wir haben unterschiedliche Positionen und wollen ehrlich damit umgehen“, sagte Seehofer. „Ich befasse mich jetzt damit, wie wir die Wahl gewinnen“, stellte Merkel klar.
Auf dem Weg zur Wahl wollen CDU und CSU ein gemeinsames Regierungsprogramm ausarbeiten. Laut der „Münchner Erklärung“geht es der Union darum, durch eine Demonstration der „gemeinsamen Stärke“die Bildung einer rot-rotgrünen Bundesregierung zu verhindern. „Wir geben Antworten auf die drängenden Fragen der Zukunft“, heißt es im Papier. Die wichtigsten Ziele der Union sind demnach Wohlstand, sichere Arbeitsplätze, Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, Unterstützung für Ehe und Familie sowie die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Krisenregionen.
Der baden-württembergische Innenminister und CDU-Vize, Thomas Strobl, sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Ich bin überzeugt, dass die Unionsschwestern ganz eng beieinander, ganz abgestimmt unterwegs sein werden und sich durch nichts und niemanden auseinanderdividieren lassen.“
- Nach dem zweitägigen „Friedensgipfel“der CDU und CSU in München reist Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Bild von Franz Josef Strauß im Gepäck zurück nach Berlin – und mit einem Versprechen von Horst Seehofer. Der bayerische Ministerpräsident will die scharfe Kritik an Merkels Asylpolitik bis auf Weiteres einstellen und sie als gemeinsame Kandidatin der Union im Bundestagswahlkampf nach allen Kräften unterstützen. Die historische Aufnahme vom früheren bayerischen Ministerpräsidenten Strauß neben der Berliner Mauer – ein Geschenk von Seehofer – erinnert die Kanzlerin nach ihren eigenen Worten an eine Zeit, in der sie auf der anderen Seite der Mauer gestanden hatte.
Es ist jedoch nicht die einzige unangenehme Erinnerung, mit der die CDU-Chefin in der Pressekonferenz am Montag bei der Münchner CSULandesleitung konfrontiert wird. Ob der ewige Streit um die Flüchtlingsobergrenze und die verletzenden verbalen Angriffe aus München in den vergangenen Monaten bei ihr tiefe Spuren hinterlassen hätten, will ein Journalist von Merkel wissen. „Als ich die Entscheidung getroffen habe, zu kandidieren, habe ich die vergangenen Monate Revue passieren lassen“, gesteht die CDU-Chefin und fügt vielsagend hinzu: „Ich denke, dass sich der Blick in die Zukunft lohnt.“
Keine Einigung bei Obergrenze
Soll heißen: Merkel hat nicht vergeben, aber sie brennt gerade auf den neuen Wahlkampf, für den sie die CSU braucht. „Man muss jetzt zusammenhalten“, pflichtete ihr Seehofer freundlich bei. „Wir stimmen in praktisch allen Politikfeldern überein.“Nein, er solle seine Forderung nach der Obergrenze nicht fallen lassen – aber er stelle sie zurück. Mit fester Stimme sagt die Kanzlerin dazu: „Ich ändere meine Position nicht, aber ich befasse mich jetzt damit, wie wir gemeinsam die Wahl gewinnen.“
„Gemeinsam“: Das ist das neue Mantra der CDU und CSU, die ihren langen Dissens hinter sich lassen und vor der Bundestagswahl an einem Strang ziehen wollen. Erneut und erneut wiederholten Merkel und Seehofer nach der Präsidiumssitzung beider Schwesterparteien das Wort „Gemeinsamkeit“, bis auch der letzte Pressevertreter im Raum begriffen hat, dass sich zwei sehr unterschiedliche Partner miteinander arrangiert haben. „Wir brauchten Zeit, um uns zu vergewissern, über die Frage, sind die Gemeinsamkeiten tragfähig“, verrät Merkel und versichert im nächsten Atemzug: Ja, das seien sie.
„Wir hatten zwei sehr gute Tage“, versicherte der bayerische Gastgeber lächelnd. Von Herzlichkeit ist jedoch bei seinem Auftritt an der Seite Merkels nichts zu spüren. Selten erlaubt sich die Kanzlerin ein Lächeln, auf Seehofers scherzhafte Bemerkungen („Für diesen Augenblick bestätige ich, dass Bayern zu Deutschland gehört“) reagiert sie fast gar nicht. Die Union will bei der Bundestagswahl im Herbst eine rot-rot-grüne Koalition in Berlin mit einem SPD-Kanzler Martin Schulz verhindern. „Das geschieht durch die Gemeinsamkeiten von CDU und CSU“, sagt Seehofer am Montag. Er preist die gemeinsamen christlich-sozialen, liberalen und konservativen Wurzeln beider Parteien an und zollt Merkel Tribut. Nun will Seehofer für die Union das Ergebnis von 40 Prozent der Wählerstimmen erreichen.
Der gemeinsame Wille der Unionsparteien ist es, Wohlstand und Sicherheit in Deutschland zu erhalten und auszubauen. Das geht aus der „Münchener Erklärung“hervor, die am Montag vorgestellt wird. Sechs Zukunftsbereiche haben demnach für Merkel und Seehofer Priorität: Zusammenhalt der Gesellschaft, Umweltschutz, Digitalisierung, Migration, Europa sowie der Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus. Zum Thema „Flüchtlinge“heißt es im Papier: „Das Ziel von CDU und CSU ist es, Menschen in Not zu helfen, indem wir vorrangig Fluchtursachen bekämpfen und den Menschen eine Perspektive in unmittelbarer Nähe ihrer Heimat bieten.“
Aus diesen ersten Eckpunkten eines Wahlprogramms soll eine detaillierte Strategie für den Machterhalt der Union entstehen, die die CDU und CSU im Juli gemeinsam verabschieden wollen. Merkel und Seehofer haben nach eigenen Worten „Respekt“vor der SPD-Wahlkonkurrenz, doch sie zeigen sich optimistisch. „Wir müssen nur unsere Inhalte ordentlich darstellen“, sagt Merkel in München, „dann haben wir schon viel gewonnen“.