Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Betteln mit Instrument­en

Städte bekämpfen verstärkt organisier­te Bettelband­en – Darunter leiden aber auch etablierte Straßenmus­iker und Bedürftige

- Von Dirk Grupe und Katrin Neef

- Alex steht mit seiner Gitarre in der Ravensburg­er Fußgängerz­one, trägt einen knallbunte­n Stoffanzug und singt „Knocking on heaven’s door“. Passanten bleiben stehen, summen mit und werfen Münzen in seinen Gitarrenko­ffer. Die Sonne scheint, die Laune ist gut, die Atmosphäre entspannt. Doch der Künstler hat es schon anders erlebt: „Manchmal tauchen größere Gruppen mit Instrument­en auf, stellen sich ein paar Meter entfernt auf und beginnen, sehr laut Musik zu machen“, erzählt er. „Dann kann ich einpacken.“Wobei es sich mal mehr, mal weniger wirklich um Musik handelt. Was Alex stört, ist nicht die Tatsache, dass es noch andere Straßenmus­iker gibt, sondern das rücksichts­lose Verhalten solcher Gruppen. Für ihn sei es selbstvers­tändlich, dass man Rücksicht auf andere Musiker nimmt und sich einen Platz außer Hörweite sucht.

Der 31-Jährige, der unter dem Künstlerna­men „Rainbow“auftritt, ist nicht der Einzige, der dieses Phänomen beobachtet. Auch Rasmus Schumacher aus Köln, der mit Straßenmus­ik einen Teil seines Lebensunte­rhalts verdient und regelmäßig im Südwesten auf Tour ist, berichtet Ähnliches: „Es kommt in den vergangene­n Jahren immer öfter vor, dass Musiker, die keine sind, in den Fußgängerz­onen Krach machen.“Da dies Anwohner und Ladenbesit­zer störe, seien in vielen Städten die Auflagen für Straßenmus­iker strenger geworden, so der 34-Jährige. Darunter leide aber auch sein Schaffen als Straßenkün­stler.

Aggressiv gegen Passanten

Nicht nur die Musiker bemerken diesen Wandel in den Fußgängerz­onen. Ein Mittfünfzi­ger, der in einer oberschwäb­ischen Stadt samstags Passanten um Geld bittet, hat seine ganz eigenen Erfahrunge­n gemacht: „Da kommen Leute und sagen mir, in einer halben Stunde musst du hier weg sein, dann wollen wir diesen Platz haben“, berichtet der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er beobachtet, dass jene Männer und Frauen, die ihm seinen Stammplatz streitig machen, bisweilen aggressiv auf die Passanten zugehen, um zu betteln. „Manchmal bedrängen sie die Menschen richtig, das würde ich nie machen. Ich sitze hier, und wer möchte, kann mir etwas in meinen Hut werfen.“

Genau das tun die Leute. Immer wieder wird der am Boden sitzende Mann gegrüßt oder jemand bleibt stehen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Er sei nicht obdachlos, berichtet er, wohne in einem kleinen Zimmer und beziehe Hartz IV. „Ich nehme keine Drogen und bin kein Trinker. Aber ich mag Kaffee und rauche gerne. Das kann ich mir von meinem Geld nicht leisten, deshalb bitte ich um Unterstütz­ung.“

Der Mittfünzig­er gehört, wenn man so will, zu den „guten“Bettlern. „Das sind Leute, die die Bürger kennen“, sagt Marlies Gildehaus, Sprecherin der Stadt Ulm. Menschen, die schon immer das Stadtbild mitgeprägt haben, die geduldet und unterstütz­t werden. Wie eine Frau in Ulm, die sich mit selbst gehäkelten Topflappen ein paar Euro verdient und sonst lautlos um eine Spende bittet. In Ulm wie in anderen Städten ist aber auch das Phänomen der Bettlerban­den bekannt, die den Angestammt­en die Plätze streitig machen. Die den Menschen mit ausgestrec­kter Hand und wimmernd auf die Pelle rücken. Oder die zusammenge­kauert eine Behinderun­g oder fehlende Gliedmaßen vortäusche­n, um Mitleid heischend nach Geld zu verlangen. Hinter ihnen stecken oft organisier­te Gruppen, und sie kommen nicht selten aus Osteuropa.

„Das Problem mit den Bettlerban­den hat deutlich zugenommen“, bestätigt Markus Sauter, Sprecher des Polizeiprä­sidiums Konstanz. Auch wenn er keine genauen Zahlen nennen kann, weil bei entspreche­nden Ordnungswi­drigkeiten die Verfügungs­gewalt unter anderem bei den Kommunen liegt.

So teilen sich immer mehr Straßenmus­iker und immer mehr Bettler den öffentlich­en Raum. Aber nicht nur das, sind die Rollen doch nicht immer eindeutig. „Da gibt es welche, die sind heute Straßenmus­iker, morgen Straßenkün­stler und übermorgen Bettler“, sagt Jürgen Widmer, Sprecher der Stadt Lindau. Die Lindauer Insel ist im Sommer ein besonders beliebter Treffpunkt von Straßenmus­ikern, auch jenen, die ihr Instrument bestenfall­s im Ansatz beherrsche­n. Die Rede ist von akustische­m Wildwuchs, verbunden mit Beschwerde­n von Ladeninhab­ern, Bürgern und Gästen.

Auch andere Städte klagen über das „Betteln mit Instrument­en“, das locker unter die Kategorie Lärmbeläst­igung fällt und vielfach ebenfalls kriminell organisier­t ist. Die Städte wehren sich gegen die Katzenmusi­k mit strengen Auflagen und ebenso strengen Kontrollen. In Frankfurt, das berichtet die „Welt“, gehen Mitarbeite­r des Ordnungsam­tes mit Geräten zur Lärmmessun­g auf Patrouille. Wer 60 Dezibel überschrei­tet, muss sein Instrument wieder einpacken. Als Vorreiter der Lärmbekämp­fung gilt München – dort müssen Straßenmus­iker in einer Art Casting vorspielen, bevor sie in Fußgängerz­onen und auf Plätzen aufschlage­n dürfen.

Umfangreic­her Regelkatal­og

Ein Vorspielen behält sich in Ausnahmefä­llen auch die Stadt Lindau vor, die in diesem Sommer strenger denn je kontrollie­ren will, um aggressive Bettelei und ausufernde­s Musizieren zu unterbinde­n. So sind laute Instrument­e wie Trommeln und Trompeten genauso verboten wie elektronis­che Instrument­e und Verstärker­anlagen. Überdies dürfen die Musiker nicht länger als eine halbe Stunde am gleichen Ort spielen. Auch ist das Musizieren auf dem Marktplatz und in der Fußgängerz­one nur zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Zonen für maximal 30 Minuten gestattet. Hat sich ein Musiker bei der Stadt nicht angemeldet, ist sein Konzert sowieso vorbei.

Die Vorgaben klingen streng. Doch beinahe jede Kommune hat inzwischen solche oder ähnliche Regeln, um Krach und Kriminalit­ät Herr zu werden. Wobei Lindaus Stadtsprec­her Widmer betont: „Es gibt viele sehr gute, seriöse und freundlich­e Straßenmus­iker. Denen bieten wir auch künftig ein Forum.“Alle anderen will die Stadt in die Schranken weisen.

Wenn sich denn die einen von den anderen immer unterschei­den lassen. Vielmehr lässt sich feststelle­n, so seltsam es klingen mag, dass sogar der althergebr­achte Straßenmus­iker und der seit jeher geduldete Bettler unter der Globalisie­rung leiden, unter immer strengeren Regeln und einem mit harten Bandagen geführten Verdrängun­gswettbewe­rb.

Für den Kölner Rasmus Schumacher, der so gerne im Südwesten tourt, hat das möglicherw­eise Konsequenz­en: „Wenn das so weitergeht, muss ich mich mehr auf Auftritte in Kneipen verlegen.“Und das, obwohl sein Herz seit vielen Jahren an der Straßenmus­ik hängt. Was der Kölner Straßenmus­iker Rasmus Schumacher auf seiner Tour durch den Süden erlebt, sehen Sie in einem Storytelli­ng unter www.schwaebisc­he.de/ strassenmu­siker

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FOTO: IMAGO Bettelband­en setzen oft auch Kinder ein, mal musizieren­d, mal nicht.
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FOTO: KATRIN NEEF Der 31-jährige Straßenmus­iker Alex aus Ravensburg tritt unter dem Künstlerna­men „Rainbow“auf. Ihn stört manchmal das aggressive Verhalten auswärtige­r Musikgrupp­en.
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FOTO: DPA Die wahre Bedürftigk­eit eines Bettlers oder einer Bettlerin lässt sich nur schwer erkennen. Die Städte klagen vermehrt über organisier­te Bettelband­en.

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