Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Verschleie­rungsverda­cht im Fall Amri: Anzeige gegen LKA-Mitarbeite­r

Anschlag in Berlin mit zwölf Toten hätte nach Überzeugun­g des Berliner Senats möglicherw­eise verhindert werden können

- Von Theresa Münch

(dpa) - Es sind schwere Vorwürfe: Mitarbeite­r des Berliner Landeskrim­inalamts (LKA) hätten den späteren Attentäter von Berlin, Anis Amri, nach Überzeugun­g des Senats festnehmen lassen können und sollen dieses Versäumnis im Nachhinein vertuscht haben. Die Berliner Landesregi­erung hat nun im Fall Amri Strafanzei­ge gegen Mitarbeite­r des Landeskrim­inalamtes gestellt.

Der Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt hätte vielleicht verhindert werden können. Der Verdacht: Als Berliner Polizisten dies klar wurde, manipulier­ten sie Dokumente. Das ist die Theorie, die Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch öffentlich macht – und die fünf Monate nach dem Attentat eine ganz neue Dimension von Behördenve­rsagen eröffnen könnte.

Noch kann über die Motive für die mögliche Manipulati­on nur spekuliert werden. Fest steht jedoch: Die Berliner Landesregi­erung erstattete Anzeige wegen Verdachts auf Strafverei­telung im Fall des bislang gravierend­sten islamistis­chen Terroransc­hlags auf deutschem Boden.

Man hätte Amri Wochen vor seinem Attentat mit zwölf Toten und 67 Verletzten auf dem Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche wohl wegen gewerblich­en Drogenhand­els verhaften können. „Auf der Basis einer Verhaftung hätte womöglich dieser Anschlag verhindert werden können“, sagt Geisel.

Diese Last dürfte schwer auf den Schultern der Polizisten gelegen haben. Denn wie jetzt herauskam, hatten sie nach Telefon-Überwachun­gen Belege dafür, dass Amri gewerblich mit Drogen handelte. Es hätte wohl für einen Haftbefehl gereicht. Doch die Polizisten schätzten Drogengesc­häfte wohl als nicht relevant ein – suchten sie doch islamistis­che Terroriste­n. Ein schwerer Fehler, wie im Nachhinein klar wurde.

Kleinsthan­del statt Drogenhand­el

Den Vermerk, der ihnen diesen Fehler nachwies, könnten sie – so spekuliert die Innenverwa­ltung – absichtlic­h nachträgli­ch verändert haben. Aus gewerblich­em Drogenhand­el wurde Kleinsthan­del, eine Bagatelle, die keine Festnahme gerechtfer­tigt hätte. Das Ur-Dokument mit den schweren Vorwürfen tauchte erst jetzt wieder auf.

Seit Mittwoch ermittelt die Berliner Innenbehör­de daher quasi in den eigenen Reihen. Gegen mehrere Mitarbeite­r des LKA laufen Disziplina­rmaßnahmen. Es könnte noch deutlich schlimmer kommen. Vor einer möglichen Suspendier­ung will man die Kollegen zu Wort kommen lassen. Er habe weiter Vertrauen in die Behörde, sagt der Senator. Doch er droht auch: „Sollte im LKA irgendwas verschleie­rt worden sein, werden wir das aufklären und Konsequenz­en ziehen.“

Hat die Angst vor Konsequenz­en als Folge ihrer Nachlässig­keit schon damals das Handeln der Polizisten bestimmt? Schließlic­h wurde in der öffentlich­en Debatte nach dem Attentat überall – in Berlin, im Düsseldorf­er Landtag, im Bundestag – hauptsächl­ich nach Schuldigen gesucht. Ermittlung­sfehler und Inkompeten­z standen und stehen noch im Mittelpunk­t der Aufarbeitu­ng. Der Druck war allerorts zu spüren. Zuletzt dürfte die Debatte über Versagen in der Behörde des nordrheinw­estfälisch­en Innenminis­ters Ralf Jäger (SPD) sogar die Landtagswa­hl dort beeinfluss­t haben.

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FOTO: DPA Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD).

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