Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Sklaven der Digitalisierung
Verdi untersucht die Arbeitsbedingungen von Crowdworkern
- Selbstständige Mitarbeiter bei Internet-Plattformen verdienen meist nur wenige hundert Euro pro Monat. „In der Regel steuert Onlinearbeit in Deutschland nur einen Zuverdienst zum Einkommen bei“, heißt es in der Untersuchung, die der Soziologe Hans Pongratz von der Universität München im Auftrag der Gewerkschaft Verdi durchführte.
Die Forschungsstudie, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, beschäftigt sich mit den Arbeitsbedingungen der sogenannten Crowdworker. Der Begriff setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern für „Menge“und „Arbeit“. Damit gemeint sind selbstständige Heimarbeiter, die Aufträge über Vermittlungsplattformen im Internet erhalten. Dort bieten beispielsweise Betreiber von Onlineshops das Erstellen von Werbetexten an.
Schätzungsweise „mehrere Hunderttausend“Beschäftigte in Deutschland verdienen auf diese Art inzwischen Geld. Die Branche gilt als ein Beispiel für die digitale Ökonomie der Zukunft. Die Gewerkschaft wollte herausbekommen, welche Rolle diese modernen Tätigkeiten für ihre Mitglieder spielen.
Unterdurchschnittliche Einkünfte
Gut 800 Selbstständige nahmen an der Umfrage teil. 45 davon waren Crowdworker. Von diesen gaben 21 an, unter 100 Euro monatlich zu erzielen. Weitere zwölf Befragte erwirtschaften bis zu 500 Euro. Nur drei erhalten über 1000 Euro. „Im Vergleich zum deutschen Durchschnittslohn erzielt nur ein Bruchteil erwerbssichernde Einnahmen“, resümieren Pongratz und Verdi-Mitarbeiterin Sarah Bohrmann.
Für die niedrigen Verdienste gibt es zwei wesentliche Gründe. Erstens bieten die Auftraggeber oft bescheidene Honorare. Stundenlöhne von vier Euro kommen nicht selten vor. Die Verdienste liegen teils im unteren Bereich, weil die Aufträge grenzüberschreitend, mitunter weltweit ausgeschrieben werden. Hiesige Crowdworker stehen potenziell in Konkurrenz zu Internetarbeitern beispielsweise in Indien oder Thailand, die die Arbeiten billiger erledigen, weil ihre Lebenshaltungskosten geringer sind.
Zweitens müssen die wenigsten Crowdworker mit diesen Tätigkeiten ihre Existenz sichern. Unter den auf diesen Art und Weise Beschäftigten sind viele Rentner, Arbeitslose und Studenten, die vornehmlich von anderen Einkünften leben. Außerdem gibt es hauptberufliche Selbstständige, die sich mittels der Plattformen nur ein Zubrot verdienen wollen.
Die in der Studie Befragten gaben unterschiedliche Erfahrungen mit den Onlineauftraggebern zu Protokoll. Negativ vermerkten viele die schlechte Bezahlung. Positiv schlagen etwa die Selbstbestimmung und freie Zeiteinteilung zu Buche.
Um die Crowdworker mit schlechter Bezahlung sozial abzusichern, fordert Verdi, sie in eine „Erwerbstätigenversicherung“einzubeziehen. Darunter versteht die Gewerkschaft eine verpflichtende Rentenversicherung, in die auch Beamte und gutverdienende Selbstständige einzahlen sollen.
Keine Arbeitgeberbeiträge
Verdi kommt es besonders darauf an, dass die Auftraggeber und die Plattformen künftig Arbeitgeberbeiträge entrichten. Heute brauchen sie das nicht tun. Weil die Selbstständigen die Beiträge komplett alleine aufbringen müssen, sparen sich viele die Altersvorsorge.
Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schlägt vor, die gesetzliche Rentenversicherung unter anderem für Crowdworker zu öffnen.