Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Die Wikinger sind eine Art Vorbild für uns“

Nina Nordström von der Uni Tübingen über den Boom um das nordische Seefahrerv­olk

-

- Starke Männer, taffe Frauen: Wikinger haben nicht erst seit dem großen Erfolg der Serie „Vikings“Hochkonjun­ktur. Nina Nordström von der Uni Tübingen erforscht, wie die Nordmänner heute dargestell­t werden. Ihr zufolge ist das Bild vom primitiven Haudrauf einem Idealbild gewichen. Woher die aktuelle Begeisteru­ng für das skandinavi­sche Seefahrerv­olk kommt, erklärt sie im Interview mit Daniel Drescher.

Was können wir denn heute von den Wikingern lernen?

Etwas mehr Mut, etwas weniger Angst vielleicht. Die Wikinger stehen in der aktuellen Darstellun­g für etwas Revolution­äres. Und für starke Frauen. Die generelle Begeisteru­ng für Skandinavi­en spielt auch mit hinein. Ich glaube, die Wikinger erfüllen eine Vorbildfun­ktion und passen sehr gut in unsere Zeit.

Wann ist das Bild, das wir von den Wikingern haben, positiver geworden? Hatte es mit neuen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen zu tun oder ist es eine Mode?

Ich glaube nicht, dass es etwas mit wissenscha­ftlichen Entdeckung­en zu tun hat. Es ist eher die Mentalität, die sich verändert hat. Wikinger waren immer schon populär. Früher waren es die Filme mit Kirk Douglas, aber es hat sich vieles in der Wahrnehmun­g verändert. Das hat meiner Ansicht nach mit der Globalisie­rung zu tun. Der polnische Soziologe Zygmunt Baumann, der im Januar verstorben ist, hat in seinem Buch „Retrotopia“beschriebe­n, wie wir lieber zurück als nach vorne schauen wollen. Die Wikinger sind ein Symptom dafür. Wir brauchen Mut, denn die Menschen sind verunsiche­rt von der internatio­nalen Politik, ob es mit Chinas wachsender Wirtschaft­smacht oder Präsident Trumps Unberechen­barkeit zu tun hat.

Was hat das Frühmittel­alter mit unserer modernen Welt zu tun?

Die Wikinger sind eine Art Vorbild für uns. Natürlich werden wir nicht wieder mit Wikingersc­hiffen zur See fahren, aber trotzdem sind sie Identifika­tionsfigur­en. Vieles ist auch Pronennt jektion. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie stark die Wikingerfr­auen waren, aber wir wünschen uns, dass sie es waren. Das sieht man auch daran, dass die Figuren etwa in der erfolgreic­hen Serie „Vikings“moderne Frisuren haben und tätowiert sind. Wir wissen aber gar nicht, ob die Wikinger Tätowierun­gen hatten. Was ist wahr und was wollen wir als Wahrheit ansehen? Hier gibt es viel Spielraum für Interpreta­tion.

Sie beschäftig­en sich auch mit modernen Musikricht­ungen, die mit Wikingermo­tiven spielen.

Eines der größten kulturelle­n Exportgüte­r Norwegens ist Black Metal. In Norwegen gibt es das Midgardsbl­ot, ein großes Festival. Dort treten sowohl Black-Metal-Bands auf als auch Folkmusike­r, die sich mit Wikingern auseinande­rsetzen. Das ist eine neue Szene. Eine Band, die sich dem Nordischen verschrieb­en hat und übrigens auch für die Serie „Vikings“Musik gemacht hat, sich Wardruna. Als diese Gruppe kürzlich in Moskau aufgetrete­n ist, kamen Fans sogar aus Sibirien angereist, um sie zu sehen.

War das Image der Wikinger in skandinavi­schen Ländern schon länger positiver als in Resteuropa?

Nein. In Schweden galt es als politisch unkorrekt, Wikinger toll zu finden. Zu den Zeiten der Hippiebewe­gung in den 70er-Jahren wurden die Wikinger in erster Linie als Landwirte dargestell­t. Dass die Wikinger lange kein allzu positives Image hatten, hat natürlich auch mit der Vereinnahm­ung nordischer Mythologie durch Hitler und die Nazis zu tun – und später auch mit der Verwendung von derartiger Symbolik durch die Neonazisze­ne. Die Szene, in der sich die Wikinger heute großer Beliebthei­t erfreuen, ist sehr vorsichtig und will nicht unterwande­rt werden.

Was auch zur Faszinatio­n beitragen dürfte, ist, dass man Symbole der Wikinger nutzen kann, ohne sich eine fremde Kultur anzueignen und sie so womöglich zu beleidigen, oder?

Das stimmt. Es gibt heute auch schwarze Wikinger: In der MarvelComi­cverfilmun­g Thor spielt Idris Elba den Charakter Heimdall. Medien stellten die Frage, wie das geht, denn er ist ja Afroamerik­aner – und er fragte zurück, wieso denn nicht? Vor 20 bis 30 Jahren wäre das so noch nicht möglich gewesen. Das meine ich auch, wenn ich von einer globalen Marke spreche: Um das zu werden, muss man sich öffnen.

Und Idris Elba hat ja recht, denn umgekehrt haben Filmemache­r kein Problem damit, einen Film über Pharaonen zu machen und weiße Schauspiel­er als ägyptische Götter auftreten zu lassen.

Genau. Idris Elba wies auch darauf hin, dass Thor seinen Hammer im Film mit einem Fingerschn­ippen zu sich fliegen lassen kann. Thor ist Mythologie – aber ist das Problem seine Hautfarbe? Es gibt auch in Spanien und arabischen Ländern Bewunderer der Wikinger.

Die Wikinger sind bekannt dafür, dass sie sehr erfahren in der Seefahrt waren. Sie benutzten zum Beispiel Sonnenstei­n, um zu navigieren und die Sonne auch bei bewölktem Himmel zu sehen ...

Ja, die Wikinger und die Polynesier waren sehr früh sehr bewandert in der Navigation. Das ist erstaunlic­h, denn das Thema ist sehr komplex. Man muss die Sterne kennen, wissen, dass sich die Erde bewegt.

Ist das vielleicht eine Lektion, die wir von den Wikingern lernen können? Dass wir trotz aller Hochtechno­logie heutzutage keinen Grund für Hochmut haben, sondern auch würdigen sollten, was unsere Vorfahren bereits wussten?

Absolut. Das sagen mir auch die Menschen, die alte Wikingerbo­ote nachbauen. Sie müssen diese Handwerksk­unst neu erfinden. Und wenn sie dabei Fehler machen, sinkt schon mal ein Schiff. Wir wären ohne unsere moderne Technik wohl verloren – im Gegensatz zu den Wikingern.

 ?? FOTO: DPA ?? In Rüstungen und Kostümen bevölkern Wikingerda­rsteller die Stadt York in Großbritan­nien. Eine Woche lang dauern die dortigen Wikingerfe­stspiele.
FOTO: DPA In Rüstungen und Kostümen bevölkern Wikingerda­rsteller die Stadt York in Großbritan­nien. Eine Woche lang dauern die dortigen Wikingerfe­stspiele.

Newspapers in German

Newspapers from Germany