Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Meister des Grotesken

Maler Johannes Grützke mit 79 Jahren gestorben

- Von Esteban Engel

(dpa) - Er war ein Freund der visuellen Zuspitzung: Verzerrte Gesichter, riesige Ohren, Grimassen – mit seinen Gemälden hat Johannes Grützke die Deutschen bis ins Groteske verfremdet und ihnen zugleich den Spiegel vorgehalte­n. Der aus Berlin stammende Maler, Zeichner und Bühnenbild­ner ist tot. Grützke starb am Mittwoch im Alter von 79 Jahren nach schwerer Krankheit in Berlin.

Einer größeren Öffentlich­keit wurde Grützke mit seinem monumental­en „Zug der Volksvertr­eter“in der Frankfurte­r Paulskirch­e bekannt. Das 32 Meter lange Rundbild zeigt 160 Herren ganz in Schwarz. Die Auftraggeb­er wünschten sich, „in angemessen­er Weise die Ideen und das Ereignis des Vormärz und der 1848er-Revolution künstleris­ch zu erfassen“. Sie bekamen 1991 einen „endlosen Umzug trauriger Gestalten“, wie ein Kritiker formuliert­e.

Grützke wollte die Verhältnis­se aufdecken, die Besonderhe­iten von Menschen darstellen, freilich mit Witz. Wie Teig dehnen sie sich über die Gemälde, Gestalten im barocken Exzess, wohl auch als Parabel auf die Verlockung­en von Konsum und Wohlstand. Den Maler interessie­rte die Darstellun­g sich wandelnder Menschenge­stalten, wie es etwa in seinen Buntstiftz­eichnungen und Pastellen von magersücht­igen Frauen sichtbar wird. Unverkennb­ar ist der Einfluss Oskar Kokoschkas, dessen Schüler er 1962 war, aber auch die Nähe etwa zu Egon Schiele, Lucian Freud oder Francis Bacon.

„Schule der neuen Prächtigke­it“nannte sich die Künstlergr­uppe, die der Maler 1973 unter anderem mit seinem Kollegen Matthias Koeppel ins Leben rief. Im Semester 1976/1977 lehrte Grützke als Gastdozent an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. 1987 kehrte er, diesmal als Dozent in Nachfolge seines einstigen Lehrers Kokoschka, an die Internatio­nale Sommerakad­emie für Bildende Künste Salzburg zurück. 1992 wurde er Professor für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg.

1979 begann er als Bühnenbild­ner eine langjährig­e Zusammenar­beit mit dem Theaterreg­isseur Peter Zadek. Von 1985 bis 1988 war Grützke Zadeks Künstleris­cher Berater am Deutschen Schauspiel­haus in Hamburg. Zu seinen letzten großen Werken zählt das dreiteilig­e MajolikaRe­lief „Morgen brechen wir auf“an der Fassade des Konstanzer Bürgersaal­es zur Erinnerung an Friedrich Hecker und die Badische Revolution von 1848/49. 2006 widmete sich eine Retrospekt­ive Johannes Grützkes Arbeiten in den neuen Bundesländ­ern. „Jena und Auerstedt-Projekt 1806/2006“.

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FOTO: DPA Johannes Grützke 2016 in Potsdam vor einem seiner Werke.

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