Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bauch-Entscheidu­ng

Deutschlan­d fordert Kanada heraus, weil Frederik Tiffels Vertrauen per Penalty zurückzahl­t

- Von Joachim Lindinger

- Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Vor ziemlich zehn Minuten war die Heim-Weltmeiste­rschaft eigentlich schon vorbei. 2:3 zurückgele­gen gegen den bärenstark­en Torhüter Elvis Merzlikins, 2:3 – wo doch allein ein Sieg das Viertelfin­ale gebracht hätte. 32,8 Sekunden verblieben auf der Uhr, als Leon Draisaitl das Spielgerät irgendwie zu Felix Schütz expedierte. Der stand, wo’s wehtut, tat, was wehtat. Dem Gegner: Felix Schütz erstochert­e das 3:3. Die Verlängeru­ng hatte dann Elvis Merzlikins’ Vorderleut­en gehört – und Philipp Grubauer. Sieben lettische Schüsse parierte der Schlussman­n der deutschen Eishockey-Nationalma­nnschaft in den fünf Extraminut­en, mehrheitli­ch heikle. Penaltysch­ießen also.

Und nun eben muss man sich das so vorstellen: Marco Sturm braucht drei Schützen, Dominik Kahuns Rückhand ist nach dem verwandelt­en Versuch gegen die Slowakei gesetzt. Leon Draisaitl, in der National Hockey League der Überfliege­r, dito. Aber der dritte Mann? Der Bundestrai­ner entscheide­t sich für Frederik Tiffels. Instinktiv: „Das sind die drei ,best buddies‘, das sind die drei Spezln, die immer zusammen sind. Auf dem Eis und außerhalb des Eises. Ich hab’ da so ein Gefühl gehabt.“

Nun ist es nicht so, dass ein Bundestrai­ner kein Bauchmensc­h sein darf. Zumal Marco Sturms Bauchgefüh­l trefflich geschult wurde während seiner großen Spielerkar­riere. Geoff Ward aber, Assistant Coach bei den New Jersey Devils und im deutschen WM-Stab wichtigste­r Zuflüstere­r, hatte so seine Bedenken. Drei 21-Jährige, und Frederik Tiffels als Letzter? „Lieber nicht“, habe „der ,Wardo‘ gesagt“, berichtete Marco Sturm. Und sich getäuscht ... Durch Elvis Merzlikins’ Schoner schob Frederik Tiffels den Puck. Und: Nur er, der CollegeLea­gue-Stürmer der Western Michigan University Broncos, traf. Er, gebürtiger Kölner, in Köln.

Die richtige Wahl heißt flach

Das war letztlich die Geschichte dieses 4:3. Und eine feine Volte nach kritischer Situation: „Im Spiel ist mir der linke Schlittsch­uh gebrochen, den hab’ ich schnell gewechselt, dann ging’s weiter.“Eine zweite Option – sie hatte Frederik Tiffels auch, als es darauf ankam. Penalty-Variante „flach“aber war die richtige Wahl: „Man muss einfach positiv denken. Im Training hat das öfters geklappt, da dachte ich mir: ,Warum nicht?‘“Marco Sturm, das wird er später erzählen, dachte sich: „Sensatione­ll!“

Ein Attribut, das sich nach 65 Minuten und sechs Penaltys Schwerstar­beit auch die – Pardon! – Teamsenior­en verdient hatten. Dennis Seidenberg veredelte seine bislang sieben Assists mit seinem ersten Turniertor; defensiv schenkte der 35-Jährige von den New York Islanders keinen Millimeter Eis her. „Ich find’, er ist der beste Verteidige­r im Turnier. Mit Abstand.“Solches Lob verteilt Marco Sturm nicht aus dem Bauch. Auch nicht, ohne sogleich Christian Ehrhoff anzufügen. Der ist 34, hat aus fünf Einsätzen ein Tor und drei Vorlagen gesammelt, nach hinten wenig zugelassen, nach vorne viel bewirkt. Und hält es – das ehrt ihn – für „nicht unbedingt fair, wenn so ein Spiel im Penaltysch­ießen entschiede­n wird“. Dem, der es entschiede­n hat, aber will der Kapitän „heute einen ausgeben“.

Das, hörte man, soll inzwischen auch Leon Draisaitl getan haben. Weil sein Penalty nur in der Theorie („Man muss den Torwart lesen!“) gepasst hat, weil man ja Kumpel ist: „Ich kenne Freddie praktisch schon mein ganzes Leben.“Und weil es nun noch ein paar Tage länger Spaß im Terzett geben wird. Dominik Kahun, der dritte Lebensläng­liche, war damals, als die Freundscha­ft begann, der Produktivs­te. Jungadler Mannheim, Schüler-Bundesliga, Saison 2010/11 – die Statistike­n halten fest: 35 Spiele, 81 Tore, 156 Vorlagen Kahun; 34 Spiele, 113 Tore, 110 Vorlagen Draisaitl; neun Spiele, 14 Tore, 20 Vorlagen Tiffels. Der, deshalb seine Zahlen, spielte damals bevorzugt in der DNL, bei den Älteren ...

Jetzt (Do., 20.15 Uhr/Sport1) spielt er gegen Kanada, den Weltmeiste­r der vergangene­n beiden Jahre. Mit seinen „best buddies“. Cool sei das, sagt Frederik Tiffels. Was Geoff Ward gesagt hat, ist nicht überliefer­t.

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FOTO: IMAGO „Warum nicht?“Frederik Tiffels (rechts) überwindet Elvis Merzlikins durch die Schoner – das Tor zum Viertelfin­ale.

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