Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ausländeranteil in der JVA Ravensburg steigt
Den Gefängnissen fehlt es an Unterbringungsmöglichkeiten – Arbeit wird zunehmend komplexer
- Die Justizvollzugsanstalt in Ravensburg hat kaum noch Platz für weitere Gefangene. 400 Häftlinge sind dort derzeit im geschlossenen Vollzug untergebracht, 84 im offenen Vollzug. JVA-Leiter Thomas Mönig spricht von einer „Schmerzgrenze“. Denn nicht nur die Unterbringung stellt die Anstalt vor eine Herausforderung, sondern auch die komplexer gewordene Betreuung der vielen Gefangenen.
Über die Jahre verzeichneten die Justizvollzugsanstalten sinkende Gefangenenzahlen. In Ravensburg war die Entwicklung eine andere: Mal nahmen die Zahlen ab, dann wieder zu. Phasenweise kam es sogar zu Überbelegungen. Dieses Problem hat sich seit der Flüchtlingszuwanderung verstärkt. Ein Drittel der Insassen in Ravensburg sind mittlerweile Ausländer, 40 Nationen sind vertreten. Zum Vergleich: Der Ausländeranteil in Deutschland liegt bei zehn Prozent (Stand 2015). Laut Mönig gibt es eine logische Erklärung dafür: „Ausländer sind per se nicht krimineller“, betont der JVA-Leiter. Sie würden allerdings schneller in Untersuchungshaft kommen. „Flüchtlinge haben hier selten soziale Bindungen und die Fluchtgefahr ist bei ihnen größer“, sagt Mönig.
Viele der Häftlinge in Ravensburg sind junge Männer im Alter zwischen 25 und 35 Jahren. Laut Mönig spiegelt das die gesellschaftliche Situation wider. Ein Schwerpunkt liegt in der hiesigen JVA auf dem Heranwachsenden-Vollzug. Hierunter fallen Häftlinge, die bei Strafantritt jünger als 24 Jahre waren oder die aus dem Jugendvollzug herausgenommen werden. 200 heranwachsende Gefangene leben in der Anstalt. „Für sie gibt es ein breites schulisches Ausbildungs- und Qualifizierungsangebot“, beschreibt Thomas Mönig.
Überhaupt sei es eine zentrale Aufgabe einer Justizvollzugsanstalt, die Insassen auf ein Leben „draußen“vorzubereiten, so Mönig. Im Fachjargon heißt das „Resozialisierung“. Im Sinne der Gesellschaft müsse man in der JVA die Weichen fürs Leben in Freiheit stellen. Dazu gehöre nicht nur eine schulische oder berufliche, sondern auch eine soziale Komponente. „Wir betreiben eine individuelle Persönlichkeitsbildung im umfassenden Sinne“, sagt Mönig. Ihm ist es wichtig, dass die Zusammenarbeit mit dem Häftling, „offen und ehrlich“abläuft und Anstaltsmitarbeiter eine Vorbildfunktion einnehmen. Jedoch muss er auch eingestehen: „Die Zahl der Gefangenen, die das zu schätzen wissen, nimmt ab.“
Die Krux: Die Aufgaben einer JVA werden komplexer. Und das bindet Ressourcen. „Die Erledigung der Kernaufgaben, also die Arbeit mit den Gefangenen, wird schwieriger“, schildert Mönig. So kämen Fragen dazu, die sich vor 30 Jahren so nicht gestellt hätten. „Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Durch Smartphones, die in die JVA geschmuggelt werden, haben die Gefangenen unkontrollierte Kontaktmöglichkeiten“, so Mönig. Ein noch engmaschigeres Sicherheitsnetz sei aber keine Lösung. „Es ist unmöglich, alles lückenlos zu kontrollieren“, meint er.
Der Fall Anis Amri
Wie Mönig sagt, würden die Erwartungen außerhalb und die Realität innerhalb von Gefängnissen oftmals auseinanderklaffen. „Nicht alles, was man sich vorstellt, ist tatsächlich auch machbar.“Ein solcher Fall sei der Berlin-Attentäter Anis Amri gewesen, der in Ravensburg kurzzeitig in Haft saß (die SZ berichtete). Viele Menschen verstanden nicht, wieso Amri wieder freikam. „Darauf haben wir als JVA überhaupt keinen Einfluss“, erklärt Mönig, „wenn die Entlassungsanordnung kommt, müssen wir einen Häftling laufen lassen.“
Ein anderer Fall, der „draußen“für Unverständnis sorgte, war der Selbstmord des mutmaßlichen Dreifachmörders von Untereschach, der sich im August erhängt hat. Manch einer fragte sich: Wie konnte das passieren? Mönigs Antwort: „Unsere Möglichkeiten sind begrenzt.“Ohne konkrete Anzeichen für eine akute Suizidgefahr könnten keine massiven Eingriffe wie die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum oder die engmaschige Kontrolle bei Nacht angeordnet werden. „Diese Komplexität der Dinge findet sich in der öffentlichen Wahrnehmung leider nicht wieder“, bedauert Mönig.