Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Lebensgefühl in Noten
Vom „Summer of Love“1967 sind unsterbliche Songs übrig geblieben
Wenn es eine Hymne gibt, die den Summer of Love charakterisiert, dann ist es wohl der Song eines gewissen Philipp Wallach Blondheim, der unter seinem Künstlernamen Scott McKenzie jenes Lied schrieb, das nicht nur einen Sommer lang alle Welt summte und nicht nur jene, die zur Gattung der Hippies zählten, summte: „If you’re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair“(Wenn Du nach San Francisco gehst, trag’ Blumen im Haar). Scott McKenzie lebte nicht nur in San Francisco, er trug auch Blumen im Haar und Fantasie-Klamotten, als wäre er ein Mitglied der Sergeants Peppers Lonely Hearts Club Band, setzte auf einen einfühlsamen Sound und traf damit genau den musikalischen Geschmack, den man heute als Mainstream bezeichnen würde.
Das Lied ist so etwas wie musikalisches Weltkulturerbe des HippieSommers geworden und Mister Blondheim ist als One-HitWonder in die musikalische Geschichtsschreibung eingegangen, was allerdings ein bisschen ungerecht ist, weil ihm mit „Like an Old Time Movie“noch einmal ein großer Hit gelang, den er zusammen mit John Phillips, dem Mitbegründer der „Mamas and Papas“schrieb. Die Freundschaft zwischen McKenzie und Phillips hielt über Jahre, weshalb er logischerweise 2001 beim Gedenkkonzert für diesen auftrat, nachdem er zuvor Teil der Neubesetzung der „Mamas and Papas“gewesen war. 2012, nach seinem Tod, wurde McKenzies „San Francisco“in leicht abgeänderter Form in den deutschen Single Charts veröffentlicht und brachte es auf Platz 86 – eine Woche lang. Seine Originalversion aber lebt und lebt und lebt. Und die Hits der Mamas und Papas („Monday, Monday“) zählen auch heute noch zum festen Bestandteil jedes Oldie-Fundus wie Sonny&Cher, deren „I Got You Babe“sich zu solch einem Monster-Hit entwickelte, dass die meisten anderen – guten – Songs des Duos daneben schier verkümmerten.
So ziemlich das Gegenteil eines One-HitWonders ist Bob Dylan, der stets Widerspenstige, der Lieder schrieb, die am Lagerfeuer und zu Dosenravioli fast totgeklampft wurden. Der aber auch stets wider den Stachel löckte: den Stachel der Etablierten, den Stachel der Traditionalisten und den Stachel der Gewöhnung. Zusammen mit seiner Partnerin Joan Baez schrieb er unverwüstliche Songs, die das Lebensgefühl einer ganzen Generation in Noten und in Worte fasste.
Nach seinen umjubelten Anfängen als Folkpoet wechselte er – zum Entsetzen vieler FolkPuristen – ins Rockfach, hängte seine Gitarre an den Verstärker und schrieb Songs für die Ewigkeit wie „Like a Rolling Stone“. Er machte sich rar und rätselhaft, blieb oft unbegreifbar und doch stets greifbar. Dass Bob Dylan heute immer noch auf der Bühne steht, macht auch ein Teil des „Summer-of-Love“-Mythos aus, wie seine Widerspenstigkeit. „Ich habe kein Interesse daran, dass Leute meine Songs mitsingen“, ließ er kürzlich ex cathedra verkünden. „Ich schreibe keine Songs fürs Lagerfeuer.“Vergebliche Kokettiererei, von der er auch als Nobelpreisträger nicht lassen will. Alle großen Männer, auch die vermeintlich Widerspenstigen, werden von Musen begleitet und inspiriert. Im Falle Bob Dylans heißt diese Muse Joan Baez. Die Sängerin/Songwriterin war schon ein bekannter Star, als Dylan nur als der Unbekannte aus Duluth/Minnesota galt. Baez ist das genaue Gegenteil ihres Lebensabschnittspartners: freundlich, entgegenkommend, verbindlich und im Gegensatz zum stets verstörenden Meister Dylan mit einer meisterhaften Stimme gesegnet, die auch heute noch das Publikum verzaubert. Auch als sich ihr gemeinsamer Weg trennte – auf Dylans Art, der sie rüde abservierte, – blieb die Faszination, die von den beiden ausgeht, ungebrochen und die YouTubeKlicks ihrer gemeinsamen Auftritte von damals erreichen auch heute noch rekordverdächtige Werte. „The Times They Are A-Changin‘ heißt einer ihrer großen, oftmals gemeinsam gesungenen (Dylan)-Songs. Die Zeiten, da sie – einzeln oder zusammen – verehrt werden, ändern sich nicht.
Wenn es ein Ereignis gibt, das wie in einem Brennglas den Zeitgeist, die Ungebärdigkeit und den Charme des Jahres 1967 fokussiert, so ist es das Monterey Pop-Festival, das vor 50 Jahren vom 16. bis 18. Juni stattfand und bei dem sich nahezu alle Größen dieser Zeit die Ehre gaben – mit Ausnahme der Beatles (keine Lust), den Stones (dito) und den Beach Boys, die eigentlich den Schlussakt hätten geben sollen und dann doch absprangen.
In Monterey ging der Stern einer Texanerin auf, die zwar manchmal aussah wie ein ungemachtes Bett, aber sang wie eine Göttin und mit ihrer Band Big Brother&the Holding Company den ganz großen Durchbruch schaffte. Janis Joplin („Me and Bobby McGee“, „Mercedes Benz“) hatte eine Stimme, als hätte sie mit Reißnägeln gegurgelt, Energie wie ein Rodeo-Reiter und eine große Lust aufs Leben, das sie jedoch oft als Vakuum empfand, welches am besten mit Whiskey gefüllt werden musste. Als Janis Joplin 1970 an einer Überdosis Heroin starb, hatte die Hippie-Kultur endgültig eine ihrer Heroinnen verloren. Ihre Hinterlassenschaft betrug übrigens 1500 Dollar, die gemäß testamentarischer Verfügung in eine Party für 200 Freunde investiert wurden. Janis Joplins Image blieb unbeschädigt, weshalb ihr Porsche 356 C 1600 SC, Baujahr 1964, vor zwei Jahren für 1,76 Millionen Dollar versteigert wurde. Als Symbolfigur dieser wilden Jahre – „Live fast, love hard, die young“– gelten sie und ihre Lieder, vor allem ihre LP „Pearls“, bis heute als Unikate. Man kann sie der Übersichtlichkeit wegen nicht alle aufzählen, die Rock-Größen dieser Zeit wie Lovin Spoonful, Barry McGuire, Grateful Dead, Byrds, Joe Cocker und und und. Doch jedes Zeitporträt wäre unvollständig ohne die Würdigung eines Typs, der Anfang der 1960er- Jahre aus der USArmy entlassen wurde – wegen schlechter Charaktereigenschaften. So etwas kann man als Stigma empfinden oder als Ansporn, Jimi Hendrix empfand es als Stimulans. Und als er in Monterey auf der Bühne seine Gitarre anzündete, galt er endgültig als außergewöhnlich. Hendrix: „Das war wie ein Opfer. Man opfert die Dinge, die man liebt. Ich liebe meine Gitarre.“Und seine Fender-Gitarren liebten ihn. Über seinen Drogenkonsum und seine erotische Leistungsfähigkeit raunte man selbst in den so freizügigen Rock-Kreisen. Über seine musikalische Genialität („Hey Joe“) staunte man. Vor allem sein Auftritt beim Woodstock-Festival zwei Jahre nach Monterey, als er die US-Hymne mit Wah-WahEffekten verfremdete, die Saiten seiner Gitarre mit den Zähnen spielte und Töne erzeugte, die an den Vietnamkrieg erinnern sollten, machte Hendrix zur absoluten Ausnahmeerscheinung. Nach seinem Tod ernannten ihn Musikzeitschriften zum besten E-Gitarristen aller Zeiten. Man sollte normalerweise vorsichtig sein mit Superlativen, doch einer trifft wohl hundertprozentig zu: Der Sommer von 1967, in dem bezeichnenderweise auch das bis heute unerreichte Beatles-Konzeptalbum „Sergeant Pepper“herausgebracht wurde, war eine der produktivsten, interessantesten und ungewöhnlichsten Epochen der musikalischen Historie.