Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Erdogan wirft Berlin erneut Spionage vor
Türkischer Präsident fordert gerechte Partnerschaft – Krisengespräche in Brüssel
(dpa) - Die Türkei hält an ihrem harten Kurs gegen Berlin und Brüssel fest. Nach der Inhaftierung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner erhob der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag Spionagevorwürfe gegen die Bundesregierung. „Du erlaubst dem Präsidenten und den Ministern der Türkei nicht, in deinem Land zu sprechen“, sagte Erdogan vor der AKP-Fraktion im Parlament. „Aber deine Agenten kommen und tummeln sich hier in Hotels und zerteilen mein Land.“
Auch auf höchster diplomatischer Ebene in Brüssel gab sich die Türkei unnachgiebig. Dort war neben dem Fall Steudtner auch die Inhaftierung des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel angesprochen worden. Echte Journalisten dürften nicht mit Terroristen unterstützenden „PseudoJournalisten“verwechselt werden, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu nach einem Treffen mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn.
Steudtner, sein schwedischer Kollege Ali Gharavi und acht türkische Menschenrechtler waren am 5. Juli bei einem Seminar in Istanbul festgenommen worden. Ihnen wird Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen. Gegen sieben der zehn Beschuldigten wurde Untersuchungshaft verhängt. Nach der Festnahme hatte Erdogan die Menschenrechtler in die Nähe von Putschisten gerückt. Die regierungsnahe Zeitung „Aksam“brachte sie am Dienstag in Verbindung mit „Spionen“.
Erdogan kritisierte nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag, dass eine „diplomatische Krise“ausgelöst werde, wenn Menschen in der Türkei wegen „Spionagetätigkeiten“festgenommen würden, die „gesellschaftliches Chaos“zum Ziel hätten. Entweder könne man mit der Türkei eine Partnerschaft unter gerechten Bedingungen eingehen, indem man ihr Recht auf Souveränität respektiere: „Oder ihr werdet die Antwort auf jede zur Schau gestellte Respektlosigkeit erhalten.“
Eskalierender Streit
Mit Blick auf die Ankündigung der Bundesregierung, wirtschaftliche Maßnahmen gegen die Türkei zu prüfen, sagte Erdogan: „Wenn sie glauben, die Türkei mit Drohungen über Handelssperren zu verängstigen, müssen sie in Kauf nehmen, selber einen viel höheren Preis zu bezahlen.“Er warf deutschen Politikern vor, den Streit zu eskalieren.
Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin schrieb in der Zeitung „Daily Sabah“: „Eine Beziehung zwischen der Türkei und Europa auf der Grundlage von Vertrauen, gemeinsamen Interessen, Gleichheit und Respekt ist möglich und notwendig. Türken, Deutsche und Europäer müssen hart daran arbeiten, irrationale Haltungen und unverantwortliche Politik zu vermeiden, die am Ende allen wehtut.“Kalin fügte hinzu: „Es gibt für Deutsche und andere ausländische Staatsbürger keine Bedrohung, wenn sie die Türkei besuchen oder Geschäfte machen.“Der Sprecher kritisierte zugleich „die Besessenheit der deutschen Medien mit Erdogan“.
Ungeachtet der Spannungen forderte Cavusoglu in Brüssel Fortschritte bei der Visaliberalisierung und den EU-Beitrittsverhandlungen sowie eine Modernisierung der Zollunion. Mogherini und Hahn machten jedoch deutlich, dass jegliches Entgegenkommen in der Zusammenarbeit von einer Rückkehr zu demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren abhängen werde.