Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Alternde EU kann von Migration profitieren
Europa wird immer älter. Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs starben in den 28 EU-Ländern mehr Menschen als geboren wurden. Und nach den jüngsten Vorausberechnungen wird diese Tendenz mindestens bis 2080 anhalten. Bis zur Mitte des Jahrhunderts soll Europa aber von derzeit 510 Millionen auf 529 Millionen Menschen wachsen. Der einzige Grund ist die Zuwanderung. Das zeigt eine am Dienstag in Berlin vorgestellte Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.
Noch zur Jahrtausendwende galt die EU als wettbewerbsfähigster und dynamischster Wirtschaftsraum der Welt, der regionale Unterschiede ausgleicht und den Zusammenhalt stärkt. Nach der Wirtschafts-, Finanz- und Flüchtlingskrise beobachten die Experten nun demografisch und wirtschaftlich ein Auseinanderdriften. Im Umgang mit der alternden Bevölkerung steht Europa laut Institutsdirektor Reiner Klingholz im weltweiten Vergleich schlecht da. Während heute auf jeden Ruheständler etwa drei erwerbstätige Personen kommen, verschlechtert sich dieses Verhältnis bis 2050 auf eins zu zwei. Damit werde es immer schwieriger, Sozialleistungen zu finanzieren und Facharbeiter zu finden.
Unterschiede innerhalb Europas
Doch auch innerhalb Europas gibt es Unterschiede. Boom-Regionen verzeichnen die Statistiker in Skandinavien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich mit annähernd zwei Kindern je Frau, und dort, wo Zuwanderung Sterbeüberschüsse ausgleicht, wie in Metropolregionen. Im Ost- und Südeuropa schrumpft die Bevölkerung hingegen. Hier zeigt sich laut Klingholz die Abhängigkeit von Bevölkerungsentwicklung und Wohlstand: „Mit der Wirtschaftskrise fallen die Geburtenzahlen“. Aufgrund des Wohlstandsgefälles verlassen seit Jahren vor allem junge Bulgaren, Rumänen oder Polen ihre Länder Richtung Westen. Gleichzeitig wandern junge Italiener, Spanier oder Portugiesen wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit in ihrer Heimat in den Norden ab. Von dieser Entwicklung profitiert nicht zuletzt Deutschland – das auch durch politische Reformen und weitere Faktoren wie einen schwachen Euro nach Ansicht der Experten in den letzten Jahren „nachhaltig die Wende zum Besseren geschafft“hat. Demografisch fällt zudem die hohe Zahl an Flüchtlingen deutlich ins Gewicht.
Die Studie sieht vor allem Regionen im Herzen sowie im Norden Europas gut auf die demografische Entwicklung vorbereitet. An der Spitze von 290 Regionen liegen Stockholm, die Nordschweiz, Zürich und London, gefolgt von Oberbayern. „Sie alle punkten mit ihrer Wirtschafts- und Innovationskraft, die zahlreiche Zuwanderer anzieht.“Stuttgart, Tübingen und Mittelfranken rangieren ebenfalls unter den 20 besten.
Wenn die Zuwanderung die negativen Folgen der Bevölkerungsentwicklung abmildern soll, gehört die Integration zu den wichtigsten Herausforderungen, so Klingholz. Entsprechend problematisch wird die Lage für osteuropäische Staaten. Denn neben der Abwanderung der Jugend sind hier die Ressentiments gegen Migranten am größten.
Vielen südlichen und osteuropäischen Regionen drohen eine starke Alterung und deutliche Bevölkerungsverluste. Bis 2050 werden demnach Portugal und Griechenland, die im Schnitt älteste Bevölkerung in Europa haben, und in Osteuropa schrumpft die Bevölkerung am stärksten. Aber auch die Bevölkerung in Deutschland wird zunehmend älter, denn davor schützt Zuwanderung allein nicht. (KNA)