Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Sichtschutzwände sollen Gaffer fernhalten
Behinderung von Lebensrettern bei Unfällen nimmt skandalöse Ausmaße an
MÜNCHBERG/COBURG (dpa) - Ein Unfall mit einem Feuerwehrauto, ein Mann stirbt: Für die Rettungskräfte in Coburg ist es an diesem Abend ein schwerer Einsatz. Und dann kommen Gaffer und machen zusätzlich Probleme. Stefan Probst, Sprecher der Coburger Polizei, kann auch wenige Tage später immer noch mit dem Kopf schütteln, wenn er an die Szene denkt. „Das könnte man sich sparen, das ist unnötige Arbeit für uns“, sagt er. Auch beim schlimmen Busbrand mit 18 Toten Anfang Juli auf der A9 haperte es nicht nur an der Bildung der Rettungsgasse. Polizei und Feuerwehr beklagten sich auch über Gaffer, die auf der Gegenfahrbahn ungeniert ihre Smartphones zückten, um Bilder zu machen und Videos zu drehen.
Mit ihren Aktionen behindern sie nicht nur den Verkehr, indem sie zusätzliche Staus auslösen oder durch Abbremsen sogar Unfälle verursachen. Sie stören auch oft die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit oder blockieren Rettungswege. Und verletzen die Persönlichkeitsrechte der gefilmten und fotografierten Opfer.
Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) will nun reagieren. Zwei Autobahnmeistereien in Bayern werden in einem Pilotprojekt mit Sichtschutzwänden ausgestattet, um Unfallstellen vor neugierigen Blicken zu schützen. Bis zu 100 Meter lange Sichtbarrieren können bei schweren Unfällen aufgebaut werden. Herrmann beklagte sich massiv über die Gaffer. Nach dem schweren Busunfall auf der A9 habe er vor Ort erlebt, wie Leute bei Tempo 100 abrupt abgebremst hätten, „nur um zu gucken“. Andere wiederum hätten im Vorbeifahren das Handy gezückt, um Fotos zu machen oder Videos zu drehen. „Es ist wirklich unbegreiflich, wie sich Autofahrer hier verhalten“, sagte Herrmann. „Deshalb müssen wir versuchen, dem bestmöglichst entgegenzuwirken.“
In anderen Bundesländern wird das längst praktiziert, in NordrheinWestfalen etwa schon seit 2015. Jan Velleman von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW sagt: „Die Idee ist gut und richtig.“Allerdings sei die praktische Anwendbarkeit nicht so einfach. In der ersten Phase eines schweren Unfalls auf der Autobahn sei das Risiko von Folgeunfällen durch Gaffer besonders hoch – und da seien in der Regel noch keine Sichtschutzwände vor Ort. Bei längeren Einsätzen und Bergungsarbeiten sei es jedoch gut, wenn die Wände aufgebaut seien. „Sie sind aber kein Allheilmittel.“
Man müsse den Menschen immer wieder vor Augen führen, wie moralisch verwerflich das Filmen und Fotografieren von Unfalleinsätzen sei. Und: Es sei auch gefährlich, wenn dadurch der Verkehr behindert werde.
Das Gaffen kann eine Ordnungswidrigkeit sein, aber auch den Straftatbestand von unterlassener Hilfeleistung, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr oder die Verletzung von Persönlichkeitsrechten erfüllen. „Das ist ein weites Feld und meistens ein Sammelsurium mehrerer Tatbestände“, sagt der Polizist Probst. Im Fall des tödlichen Unfalls von Coburg komme auch noch der Verdacht auf Nötigung und Beleidigung hinzu. Der Mann mit dem Smartphone soll einen Feuerwehrmann angepöbelt und mit Schlägen gedroht haben.
Besonders ärgert es Probst, dass die zwei Streifenpolizisten, die sich mit den Gaffern beschäftigt haben, nicht für andere Einsätze zur Verfügung standen. „Wir können unserer ursprünglichen Aufgabe nicht nachkommen.“
Bei größeren Unfällen gerade auf Autobahnen bleibt das Gaffen jedoch oft ungeahndet – aus einfachem Grund: „Die Einsatzkräfte vor Ort haben anderes zu tun“, sagt Velleman. Wo man aber Beweise habe, werde konsequent nachgefasst.
Dass Gaffer nicht nur einen schnellen neugierigen Blick auf Unfallstellen gerichtet haben, sondern angehalten und damit sich und andere gefährdet haben, habe es schon immer gegeben, sagt Polizist Probst. Nur: Smartphones und soziale Netzwerke hätten das Problem enorm verschärft, Clips und Fotos von Unfällen würden immer häufiger und immer schneller im Internet veröffentlicht. „Das Ausmaß ist viel größer geworden.“