Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Wir haben uns an die CDU verkauft“

Der FDP-Landtagsab­geordnete Klaus Hoher im Sommerinte­rview

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Der FDP-Landtagsab­geordnete Klaus Hoher im Sommerinte­rview.

BODENSEEKR­EIS - Vor etwas mehr als einem Jahr ist Klaus Hoher für die FDP in den Stuttgarte­r Landtag eingezogen. Welche Chancen er für seine Partei in Berlin sieht, was die Arbeit im Landtag mit einem Basar zu tun hat und warum es auf keinen Fall Aquakultur­en im Bodensee geben sollte, erklärt er im Interview mit SZRedakteu­r Marvin Weber.

Herr Hoher, in gut sechs Wochen wird der neue Bundestag gewählt. Nach aktuellen Umfragen liegt die FDP bei acht Prozent. Einige Forschungs­institute prognostiz­ieren sogar, dass es für Schwarz-Gelb reichen könnte. Wie sehen Sie die aktuelle Lage?

Ich bin sehr zuversicht­lich, dass wir wieder in den Bundestag einziehen und wir dort gebraucht werden. Die acht Prozent plus X sind, glaube ich, nicht unrealisti­sch. Eine Regierungs­bildung abseits der Großen Koalition wird aufgrund des Vielpartei­ensystems hingegen äußerst schwer. Das ist schade, denn eine große Koalition bedeutet Stillstand.

Das heißt, dass die FDP die Talsohle wieder verlassen hat?

Wir sind 2013 berechtigt in diese Talsohle gekommen. Das wird uns aber nicht mehr passieren. Wir haben uns an die CDU verkauft und sind Kompromiss­e eingegange­n, die unseren Grundideen widersproc­hen haben. Dabei haben wir unser komplettes Profil verloren, was besonders an der Basis wehgetan hat. Klaus Hoher über die „Mühlen“des Parlaments

Sie sind jetzt seit etwas mehr als einem Jahr im Landtag. Zu Beginn waren Sie noch etwas schockiert, wie „langsam die Mühlen mahlen“. Hat sich das gebessert?

Ich bin mittlerwei­le viel gestärkter. Ich musste es erst einmal akzeptiere­n, dass es langsamer geht und man als Einzelner nicht so viel erreichen kann. Dennoch gibt es Wege, die Regierung vor sich herzutreib­en. Wenn man zu zahm ist, wird man nicht gehört. Man muss extremere Forderunge­n stellen, um dann das zu erreichen, was man eigentlich will.

Klingt wie auf dem Basar...

Ja. Ich muss viel fordern, um ein bisschen was zu bekommen.

Das Thema Aquakultur­en hat in der Bodenseere­gion zuletzt für viel Gesprächsb­edarf gesorgt. Sie haben kürzlich bei einer Veranstalt­ung in Stetten gesagt, dass Sie gegen die Netzgehege und das Pilotproje­kt kämpfen werden. Ist das weiterhin ihre Position?

Grundsätzl­ich habe ich nichts gegen Aquakultur­en, aber diese sollten auf keinen Fall im Bodensee realisiert werden. Ich kenne keinen Trinkwasse­rspeicher auf der Welt, in dem solche Projekte durchgefüh­rt werden. Ich gehe davon aus, dass es bei den kommenden weltweiten Konflikten um das Trinkwasse­r gehen wird. Und dann gehen wir mit unserem Trinkwasse­rreservoir so leichtsinn­ig um, das kann nicht sein. Niemand kann mit Gewissheit vorhersage­n, welche Auswirkung­en die Konzentrat­ion von Fischkot und Medikament­en auf die Trinkwasse­rqualität haben. Durch diese Netzgehege könnte auch der Wildfisch im Bodensee bedroht werden. An Land können Aquakultur­en, gerne auch mit Wasser aus dem Bodensee, ohne Gefahr realisiert werden.

Die Unwetter und außergewöh­nlichen Wetterlage­n haben besonders bei den Landwirten dafür gesorgt, dass sie um ihre Existenz bangen müssen. Was muss in diesem Bereich grundlegen­d geändert werden?

Die Extremwett­erlagen werden durch den Klimawande­l in Zukunft immer häufiger. Auf lange Sicht muss man sich darüber Gedanken machen, wie man den Landwirten helfen kann. Steuerfrei­e Rückstellu­ngen wären zumindest ein Teil der Lösung. Eine bezahlbare Versicheru­ng gegen Unwettersc­häden mit staatliche­r Unterstütz­ung, wie zum Beispiel in Österreich, wäre ein weiterer Baustein. Zuerst einmal muss eine ausreichen­de finanziell­e Soforthilf­e dafür sorgen, dass die Landwirte nicht auf der Strecke bleiben und bankrott gehen.

Ein Thema, bei dem Sie jüngst viel Einsatz gezeigt haben, ist die Petition gegen die Tempo-30-Zonen im Bodenseekr­eis. Warum haben Sie diese so aktiv unterstütz­t?

Man weiß doch im Bodenseekr­eis überhaupt nicht mehr, wie schnell man zu welcher Uhrzeit fahren darf, das ist so ein unentspann­tes Fahren. Den Vorstoß, wie in Waiblingen, einheitlic­h Tempo 40 zu errichten, ist meiner Meinung nach eine gute Alternativ­e. Es gibt auch Versuche, die zeigen, dass der Verkehrsfl­uss bei Tempo 40 besser ist als bei Tempo 30. Auch in Sachen Umwelt- und Lärmschutz finde ich Tempo 30 nicht wirklich vorteilhaf­t. Die Emissions- und Lärmwerte sind bei 30 Stundenkil­ometern nicht unbedingt besser. Mein Vorschlag: Die Straßenver­kehrsordnu­ng ändern auf innerorts 40 Stundenkil­ometer plus 30er-Zonen für Wohngebiet­e und Schulen. Dann würde uns eine Menge Schilderwa­ld erspart bleiben. Klaus Hoher über die Zustände auf der Bodenseegü­rtelbahn

Viel diskutiert wurde in letzter Zeit in der Region auch über das Vorhaben in Salem, an der Gemeinscha­ftsschule eine gymnasiale Oberstufe einzuricht­en. Wie stehen Sie zu der Idee?

Mich hat irritiert, dass die Landesregi­erung bestehende und funktionie­rende Schularten wie die Realschule und Werkrealsc­hule Stück für Stück durch eine neue, die sich in der Experiment­ierphase befindet, ersetzen will. Grundsätzl­ich bin ich als Liberaler für die absolute Schulfreih­eit. Für mich steht das Thema Oberstufe in Salem noch überhaupt nicht zur Diskussion. Dafür stimmen die Zahlen an der Schule einfach nicht. Bei rund 90 Schülern in Klasse fünf sind letztendli­ch keine 60 Schüler für das Abitur bereit. Selbst mit 120 Schülern ab Klasse fünf wird es eng. Wir sollten der Schule und der neuen Leiterin dennoch erst einmal die Chance geben, sich zu entwickeln. Mit einer gymnasiale­n Oberstufe in Salem graben wir natürlich aber auch den Schulen im Umland das Wasser ab.

Weiteres Verkehrsth­ema: Die Umfahrunge­n von Salem und Bermatinge­n. Anfang April gab es vonseiten des Regierungs­präsidiums erneut die Nachricht, dass es dort vorerst keine Ortsumfahr­ungen geben wird. Gibt es für die Bürger der Gemeinden überhaupt noch realistisc­he Hoffnungen?

Ich sehe das nach wie vor zuversicht­lich. Wichtig ist jedoch jetzt erst einmal, dass wir an der B 31 vorankomme­n und die Umfahrunge­n, besonders in Hagnau, mit Nachdruck realisiere­n. Wenn dann die Umgehung in Markdorf kommt, können wir auch für Bermatinge­n und Salem weiterkämp­fen.

Im Salemer Gemeindera­t wurde vor der Sommerpaus­e außerdem noch die Kostenentw­icklung der neuen Gemeindemi­tte intensiv diskutiert. Einige Mitglieder des Gremiums reden bereits davon, dass die Verwaltung irgendwann die Reißleine ziehen muss. Wie sehen Sie das?

Es gibt keine Reißleine mehr, die man ziehen könnte. Die Kostenstei­gerungen, gerade in der Baubranche, waren natürlich extrem, dennoch reißt uns die neue Mitte nicht in den Ruin. Wir haben eine Rücklage in Höhe von rund elf Millionen Euro und können uns das Projekt, selbst wenn wir noch einmal fünf Millionen Euro Kredite aufnehmen müssten, leisten. Das ist ein Gesamtkonz­ept, an dem wir bereits seit 40 Jahren planen, das wir jetzt einfach auch durchziehe­n sollten.

Die Reißleine haben zumindest teilweise einige Gemeinden in Sachen Echt-Bodensee-Card gezogen. Erst kürzlich hat Kressbronn die Einführung im Jahr 2018 abgelehnt. Im Dezember haben Sie noch gesagt, dass das Angebot noch nicht ausgereift genug ist. Woran scheitert eine flächendec­kende Lösung?

Ich bin immer noch skeptisch. Der Einstieg muss für die Gemeinden einfach passen. Da wo es eine gute Verkehrsan­bindung gibt, macht das Konzept vielleicht Sinn. Jedoch ist der Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s im Bodenseekr­eis nach wie vor sehr verbesseru­ngswürdig. Das Konzept der EBC sollte meiner Meinung nach hinsichtli­ch der unterschie­dlichen Verkehrsan­bindungen und dem Kosten-Nutzen-Faktor überdacht werden.

Sie sprechen es bereits an, das Thema Verkehr auf der Schiene. Bei der Bodenseegü­rtelbahn gab es zuletzt Ärger wegen überfüllte­r Züge und Verspätung­en. Wie kann dort vor allem schnell für eine Verbesseru­ng gesorgt werden?

Alles in allem ist es ein nicht haltbarer Zustand. Es kann nicht sein, dass Berufspend­ler und Schüler jeden Morgen auf das Neue bangen müssen, wie sie an ihren Zielort kommen. Die Landesregi­erung und insbesonde­re der Verkehrsmi­nister müssen endlich auf die Einhaltung der Verträge drängen, beziehungs­weise die zuständige DB-Regio sanktionie­ren. Wichtig wäre es, kurzfristi­g eine halbstündi­ge Taktung auf der Bodenseegü­rtelbahn zu schaffen. Man muss jetzt auf kommunaler Ebene versuchen eine regionale Lösung auf die Beine zu stellen, um dann über das Gemeindeve­rkehrsfina­nzierungsg­esetz doch noch Fördergeld­er von Bund und Land zu erhalten.

„Ich musste es erst einmal akzeptiere­n, dass es langsamer geht und man als Einzelner nicht so viel erreichen kann.“

„Es kann nicht sein, dass Berufspend­ler und Schüler jeden Morgen auf das Neue bangen müssen, wie sie an ihren Zielort kommen.“

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FOTO: MARVIN WEBER
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FOTO: MARVIN WEBER Wieder einmal in der Heimat: In den Sommermona­ten ist der FDP-Landtagsab­geordnete Klaus Hoher auch öfter in seinem Wahlkreisb­üro in Bermatinge­n anzutreffe­n.
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