Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Berufung könnte ohne Urteil enden
Verhandlung gegen ehemaligen Bad Wurzacher Kurdirektor: Richter regt Rücknahme beider Anträge an
RAVENSBURG - Das Berufungsverfahren gegen den ehemaligen Bad Wurzacher Kurdirektor Michael N. könnte ohne Urteil enden. Der Vorsitzende Richter Axel Müller hat zum Verhandlungsauftakt am Montag Staatsanwaltschaft und Verteidigung dazu angeregt, ihre Berufung zu überdenken.
„Wir schlafen mal alle drüber“, sagte Müller am Ende eines fast achtstündigen Verhandlungstags. Der Staatsanwaltschaft würde „sicherlich nicht das Herz bluten“, wenn es beim erstinstanzlichen Urteil von einem Jahr und fünf Monaten auf Bewährung bliebe, so Müller mit Blick auf Oberstaatsanwalt Peter Vobiller. Die Staatsanwaltschaft hatte das Urteil als zu mild angesehen und daher Berufung eingelegt.
An den angeklagten 59-jährigen Michael N. gewandt, ließ Müller deutlich durchblicken, dass dieser in seinen Augen die Bewährung aufs Spiel setzt: „Ich vermisse im Urteil eine klare Aussage, welche besonderen Umstände zur Bewährung geführt haben.“N. war im April dieses Jahres vom Amtsgericht Wangen unter anderem wegen Betrugs in einem schweren Fall und Urkundenfälschung verurteilt worden. Der Angeklagte hat gestanden, sich bei der Bewerbung zum Geschäftsführer der städtischen Kurbetriebe in Bad Wurzach 2015 als Diplom-Kaufmann und Diplom-Psychologe mit Promotion ausgegeben zu haben. In Wirklichkeit hat N. keinen Universitätsabschluss.
Durch den so zustande gekommenen Arbeitsvertrag hatte er in den folgenden zwölf Monaten bis zu seiner Entlassung im August 2016 rund 88 000 Euro an Gehalt kassiert. Dies sah das Amtsgericht als schweren Betrug an. Die Verteidigung sieht dies jedoch anders. Sie argumentiert, der Angeklagte habe die dafür erforderliche Leistung erbracht.
In der Verhandlung am Montag hatten N. und sein Rechtsanwalt Jens Bühner zunächst einen Befangenheitsantrag gegen Richter Müller gestellt. Diesen zogen sie nach den mit lauter Stimme getroffenen Ausführungen von Richter Müller und einer kurzen Beratung zurück.
Vorausgegangen war, dass Bühner am vergangenen Donnerstag dem Gericht ein Attest von N.’s Hausarzt Der Vorsitzende Richter am Landgericht, Axel Müller zusandte. Das besagte, dass der Angeklagte aufgrund seiner Herzerkrankung und einer Diabetes nicht reise- und verhandlungsfähig sei. Richter Müller ließ N. an seinem Wohnort Köln daraufhin von der Polizei beim Amtsarzt vorführen. Dieser bescheinigte eine uneingeschränkte Verhandlungs- und Reisefähigkeit, sofern der Angeklagte nicht selbst fahre.
Im weiteren Verlauf der Verhandlung sagten der damals ermittelnde Polizist, der damalige Personalratsvorsitzende der Kurbetriebe, eine Angestellte der Kurbetriebe, Bad Wurzachs Bürgermeister Roland Bürkle und die Ärzte Gudrun Müller und Professor Eckart Jacobi aus. Die beiden Mediziner hatten zusammen mit einem weiteren Kollegen N.’s Schwindel mit den gefälschten Universitätsabschlüssen und der Promotion in privaten Recherchen aufgedeckt und zur Anzeige gebracht.
Verfahren auch beim Arbeitsgericht
„Wir schlafen mal alle drüber.“
Am Rande wurde bekannt, dass die Stadt Bad Wurzach vor dem Arbeitsgericht Michael N. wegen des ihr entstandenen Schadens verklagt hat. N. hatte einen Laptop, ein IPhone und Tresorschlüssel nach seiner Entlassung nicht zurückgegeben. Außerdem hatte er ein Auto angemietet, für das die Stadt etwa 2800 Euro zahlen musste. Das Gericht hat einen Vergleich in Höhe von 9000 Euro vorgeschlagen, die nächste Verhandlung ist im Dezember.
Die Verhandlung am Landgericht Ravensburg wird am Dienstag um elf Uhr fortgesetzt – falls nicht beide Seiten ihre Berufung vorab zurückziehen.
Sollte dies nicht passieren, so Müller, könne er sich auch vorstellen, die Vorgänge bei früheren Anstellungen von N. zu überprüfen, beispielsweise an der Eifelhöhenklinik in Marmagen.