Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Houston hat ein Problem
Land unter in Texas: Zehntausende ohne Dach über dem Kopf – Trump besucht Katastrophengebiet
HOUSTON (dpa) - Die verheerenden Überschwemmungen nach dem Tropensturm „Harvey“machen nach Einschätzung der Behörden bis zu 30 000 Menschen in Texas vorübergehend obdachlos. Besonders betroffen ist die Millionenmetropole Houston, in deren Großraum insgesamt 6,5 Millionen Menschen leben. Die US-Katastrophenschutzbehörde FEMA rief die gesamte Bevölkerung auf, sich an den Hilfsarbeiten zu beteiligen. „Ich bitte alle Einwohner, zu helfen“, sagte der Leiter der Behörde, Brock Long, am Montag.
Schnelle Besserung ist nicht in Sicht: „Wir sehen katastrophale Überflutungen, die wahrscheinlich noch schlimmer werden, weil das Wasser nur langsam abfließt“, sagte der Leiter des Nationalen Wetterdienstes, Louis Uccellini. Der Sturm sog über dem am Ende des Sommers sehr warmen Golf von Mexiko extrem viel Feuchtigkeit auf, die er nun als Regen wieder abgibt. In den nächsten Tagen könnten weitere 50 Zentimeter Regen pro Quadratmeter zu den ohnehin extremen Wassermengen hinzukommen. „Wir erwarten den Höhepunkt erst am Donnerstag oder Freitag“, betonte der Wetterexperte.
Hunderttausende waren am Montag ohne Strom, weil die oft über Holzmasten verlegten Leitungen der Gewalt von Wind und Wasser nicht standhalten konnten. Mindestens zwei Menschen starben. Die Behörden gehen von weiteren Todesopfern aus. Die Rettungsmannschaften konzentrierten sich darauf, in Gefahr geratene Menschen per Boot oder Hubschrauber in Sicherheit zu bringen. Die Infrastruktur in und um Houston ist weitgehend zusammengebrochen. Der Internationale Flughafen der Stadt ist bis auf Weiteres geschlossen. Viele Straßen und Autobahnen sind unpassierbar, der Unterricht in den Schulen wurde abgesagt. Auch außerhalb Houstons machte der Sturm viele Häuser dem Erdboden gleich. Verschmutztes Trinkwasser wurde mehr und mehr zum Problem. Die Behörden riefen die Bevölkerung auf, Trinkwasser abzukochen. Die Fernsehsender zeigten Bilder aus Altenheimen, aus denen Menschen in Rollstühlen gerettet werden mussten.
Der Bürgermeister von Houston, Sylvester Turner, verteidigte seine Entscheidung, die Millionenstadt trotz des heraufziehenden Wirbelsturms nicht vorbeugend zu evakuieren. Stattdessen riet die Stadtregierung den Bewohnern, sich innerhalb der Stadt in Sicherheit zu bringen. „Wir haben das Beste für die Einwohner von Houston und deren Sicherheit getan“, sagte Turner. Houston, verteidigt er sich, habe 2,3 Millionen Einwohner. Rechne man den Ballungsraum der Metropole hinzu, seien es weit über sechs Millionen. So viele Menschen gleichzeitig aufzufordern, sich auf die Straße zu begeben, wäre falsch gewesen, sagt der Bürgermeister. „Ich denke, diese Lektion haben wir nach Rita gelernt.“Die Erinnerung an den Wirbelsturm Rita ist ein Grund, offenbar der wichtigste, warum niemand eine Evakuierung anordnete oder auch nur empfahl. Während Rita im September 2005 auf Houston zusteuerte, riet Turners Vorgänger im Rathaus den Leuten, ihre Stadt zu verlassen. Kurz zuvor hatte Katrina in New Orleans die Dämme brechen lassen, weder die Behörden noch die Bürger Houstons wollten ein Risiko eingehen. Über zwei Millionen Gewarnte machten sich praktisch zugleich auf den Weg, auf den Autobahnen staute sich viele Kilometer weit der Verkehr, Unfälle häuften sich, es kam zu Schlägereien, die brütende Sommerhitze führte dutzendfach zu Hitzschlägen. „Vielen von uns steckt das noch in den Knochen“, sagt Turner.
Dass „Harvey“derart schwere Überflutungen verursachen konnte, liegt auch am rasanten Wachstum von Houston: Pro Jahr kommen etwa hunderttausend zusätzliche Bewohner hinzu. Neue Straßen werden gebaut, neue Parkplätze angelegt, die Einfamilienhaus-Monotonie typisch amerikanischer Siedlungen dringt immer weiter ins Umland vor. Wo das Wasser noch vor 20 Jahren versickern konnte, ist heute Beton. Fatal für eine Boomtown, die wegen der vielen Flüsse und Gewässer, die sie durchziehen, ohnehin schon notorisch überschwemmungsanfällig ist.
Ölindustrie leidet
„Harvey“bedeutet auch für die in der Region von Houston vorherrschende Ölindustrie einen schweren Schlag. Viele Raffinerien sind geschlossen, teilten unter anderem die Ölkonzerne Shell und Exxon mit. Experten gehen davon aus, dass derzeit 22 Prozent der Ölförderung im Golf von Mexiko stillstehen und täglich eine Million Barrel (je 159 Liter) Öl nicht verarbeitet werden. Houston ist durch einen rund 100 Kilometer langen Kanal mit dem offenen Meer bei der Küstenstadt Galveston verbunden. Die Raffinerien und anderen Anlagen entlang der Wasserstraße sind weitgehend dicht.
Für US-Präsident Donald Trump ist es die erste große Naturkatastrophe, mit der er in seiner rund siebenmonatigen Amtszeit konfrontiert ist. Für den Bundesstaat Louisiana hat Trump nun den Katastrophenfall ausgerufen. Das Weiße Haus verkündete am Montag die Entscheidung, auf deren Grundlage Bundesmittel zur Behebung von zu erwartenden Sturmschäden freigegeben werden können. Heute will Trump den Sturmopfern im Bundesstaat Texas einen Besuch abstatten.