Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Frischer Kaffee und etwas Geborgenheit
Immer ein offenes Ohr: Detlef Luf und sein Team von der Bahnhofsmission unterstützen in allen Lebenslagen
FRIEDRICHSHAFEN - Obdachlose, Bahnmitarbeiter, Bundespolizisten: Wenn Detlef Luf über den Bahnsteig geht, trifft er auf viele bekannte Gesichter. Die Menschen kennen ihn. Und er kennt sie. Seit vier Jahren leitet Luf die Bahnhofsmission Friedrichshafen. Gemeinsam mit seinem Team unterstützt er Menschen am Bahnhof.
Auf dem Bahnsteig, ganz am hinteren Ende, steht ein gelbes Häuschen. Der Eingangsbereich ist gefegt, im Fenster steht ein Blumenkasten mit roten und weißen Geranien. Dort befindet sich die Bahnhofsmission Friedrichshafen. Um neun Uhr hat Luf schon Kaffee gekocht. „Bis halb 10 ist die erste Kanne weg“, sagt er. Früher hat der 51-Jährige auf der Messe gearbeitet. Den Job musste er aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Er habe neue Aufgaben gesucht, schließlich fing er bei der Bahnhofsmission an. Schnell war klar: „Das ist mein Job.“Heute kann er sich keine andere Arbeit mehr vorstellen.
In der Bahnhofsmission engagieren sich 17 Häfler, davon sind 14 Ehrenamtliche. Sie kümmern sich um Senioren, die sich alleine fühlen – nicht nur auf dem Bahnhof. Um Rollstuhlfahrer, die auf Hilfe angewiesen sind. Und manchmal auch um Mütter, die Hilfe suchen, weil sie mit ihren Kindern nicht zurechtkommen. In der Bahnhofsmission ist jeder willkommen. Alter, Herkunft und soziale Stellung spielen keine Rolle. „Alle Menschen sind gleich“, sagt Luf. „Das ist unser Leitgedanke.“
Das Fahrstuhlproblem
Peter Reiser ist einer der Ehrenamtlichen, die sich in der Bahnhofsmission engagieren. In wenigen Minuten kommt auf Gleis vier der Zug aus Stuttgart an. Reiser trägt ein blaues Polohemd mit der Aufschrift „Nächste Hilfe: Bahnhofsmission“, damit ihn die Leute erkennen. „Dass es am Bahnsteig immer noch keinen Fahrstuhl gibt, ist ein großes Problem“, sagt der 78-Jährige. Senioren, Reisende mit Gepäck und Touristen mit Fahrrädern seien dankbar für jede helfende Hand. „Vor allem für Rollstuhlfahrer ist die Situation ein Ärgernis“, fügt Luf hinzu.
Früher, als das Stellwerk in Friedrichshafen noch in Betrieb war, konnten die Mitarbeiter der Bahnhofsmission die Rollstuhlfahrer über den Übergang am Ende des Bahnsteigs schieben. Stets in Begleitung eines Bahnmitarbeiters. Jetzt müsse die Leitstelle in Karlsruhe die Freigabe erteilen. Eine Prozedur, die sich schnell in die Länge zieht. „Ein Fahrstuhl würde alle Probleme lösen“, sagt Luf.
Angst, dass der Sohn abrutscht
Am späten Vormittag steht eine Frau vor dem gelben Häuschen der Bahnhofsmission. Sie nimmt einen letzten Zug von ihrer Zigarette, entsorgt die Kippe und spricht Luf an. Ihr Sohn macht Probleme. Der 14-Jährige sei im vergangenen Jahr weggelaufen und einen Monat verschwunden gewesen. Vor allem habe er sich in der Bahnhofsgegend aufgehalten. Gemeinsam mit Kriminellen, befürchtet die Mutter. Sie hat Angst, dass er wieder abrutscht: „Da möchte ich mein Kind nicht sehen“, sagt sie. Luf bittet sie hinein. Im Aufenthaltsraum gibt es – links neben dem Eingang – ein kleines Waschbecken. Bücher und Gesellschaftsspiele stehen geordnet in einem Regal. Für Kinder, die manchmal in der Bahnhofsmission betreut werden. Die verzweifelte Mutter setzt sich. Luf holt Kaffee, anschließend hört er aufmerksam zu.
Das Vertrauen ist wichtig
Und die Frau erzählt: Sie sei alleinerziehend. Der Sohn gehe nicht zur Schule. Er habe schon Ärger mit der Polizei gehabt. Sie wisse nicht mehr weiter. „Woran erkenne ich Ihren Sohn?“, fragt Luf, woraufhin die Frau ihm ein Foto des Jugendlichen zeigt. Der Leiter der Bahnhofsmission notiert ihre Handynummer und den Namen des Jugendlichen. „Der Name ist wichtig“, sagt er. Wenn er den Jungen anspricht, müsse er sofort ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Es sind Begegnungen wie diese, die Luf veranlassen, neue Initiativen ins Leben zu rufen. „Jugendliche und Kinder in Not“heißt das Projekt, das er nur wenige Tage später gründen wird. Das Ziel: Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen Perspektiven aufzeigen.
Margarethe Berge bringt Plundergebäck mit Zwetschgen, das eine Großbäckerei gespendet hat. Denn am Mittwoch ist Kuchentag. Eigentlich engagiert sich Berge bei der Teestube, einem weiteren Treffpunkt für Hilfsbedürftige in Friedrichshafen. Aber jeden Mittwoch beliefert sie auch die Bahnhofsmission. „Ich möchte etwas zurückgeben“, erzählt Berge. Sie habe ein schönes Zuhause, was nicht selbstverständlich sei. Manchmal bleibe die Wertschätzung für ihr Engagement auf der Strecke. Einige Bedürftige würden hohe Ansprüche stellen und sich nicht bedanken. Aber aufhören, das kommt für Berge nicht infrage: „Ich mache weiter, weil es wichtig ist.“
Die Erfahrung, dass Hilfsbedürftige fordernd auftreten, hat auch Luf gemacht. In der Bahnhofsmission gibt es eine kleine Kleiderkammer. „Einmal ist ein junger Mann mit kaputten Schuhen vorbeigekommen“, erzählt Luf. Er habe neue erhalten, sei aber am nächsten Tag wieder mit den kaputten aufgetaucht und habe ein weiteres Paar gefordert. „Ich habe ihn freundlich, aber bestimmt abgewiesen“, erinnert sich der 51-Jährige.