Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Diebstahl des Privaten
Die Verfilmung des Bestsellers „The Circle“verschenkt das Potenzial des Themas
Einfach mal sein ganzes Leben in den sozialen Medien streamen, für alle global abrufbar? Als Dave Eggers im Jahr 2013 seinen Roman „The Circle“veröffentlichte, war das noch eine Zukunftsvision. Mittlerweile sind wir schon einen Schritt weiter und durch Facebook Live oder die mit Twitter verknüpfte App Periscope kann man bei ordentlicher Verbindung relativ mühelos etwa ein Konzert- oder Urlaubserlebnis direkt mit anderen Menschen teilen. Das verleiht der Diskussion über Datensicherheit und Privatsphäre nochmals eine neue Dimension. Regisseur James Ponsoldt wirft in seiner Romanverfilmung von „The Circle“wichtige Fragen auf – kommt bei den Antworten aber ins Straucheln.
Hauptfigur der Geschichte ist die junge Mae Holland (Emma Watson), die noch bei ihren Eltern Vinnie und Bonnie (Bill Paxton und Glenne Headly) lebt. Vinnie ist an Multipler Sklerose erkrankt, die Familie kann sich teure Behandlungen aber nicht leisten. Da wirkt es wie ein Glücksfall, als Freundin Annie (Karen Gillan) ihr eine Stelle beim Internetkonzern The Circle vermittelt. Zwar ist ihre Aufgabe zunächst die Beantwortung von Kundenanfragen, aber in dem coolen Konzern, der als Mischung aus Facebook, Google und Apple daherkommt, scheinen die Aufstiegsmöglichkeiten schier grenzenlos.
Allerdings verlangt die Firma dafür auch ein Maximum an Hingabe, wie Mae in einer der besten Szenen des Films von zwei aufgedrehten Teambetreuern klargemacht wird. Natürlich sei das umfangreiche Freizeitangebot auf dem Unternehmenscampus völlig freiwillig, aber es sei ja schon wichtig, dass man sich dabei auch am Wochenende blicken lasse. Und warum sich Mae noch nicht mit ihren neuen Kollegen über das soziale Netzwerk verbunden habe?
Dem Teamgeist dient auch die wöchentliche Zusammenkunft, bei der Firmenchef Eamon Bailey (Tom Hanks) die Philosophie und neue Produkte des Unternehmens diskutiert – Apples‘ aufwendig inszenierte Keynotes lassen grüßen.
Auf einem dieser Treffen stellt Eamon SeeChange, eine neue MiniVideokamera, vor. Als diese Mae aus einer lebensbedrohlichen Situation rettet und die Firma auch noch die Krankenversicherung ihrer Eltern übernimmt, wird aus der anfänglichen Skeptikerin endgültig eine Konvertitin. Gemäß dem Motto „Geheimnisse sind Lügen, alles Private ist Diebstahl“lässt die junge Frau die Circle-Gemeinde künftig rund um die Uhr an ihrem Leben teilhaben. Nur für Toilettenpausen gibt es mal drei Minuten Privatsphäre. Aber Mae muss bald erkennen, dass völlige Transparenz einen hohen Preis hat.
Ein charismatischer Tom Hanks
Das Thema ist brisant, die Besetzung hochkarätig. Dennoch will The Circle nicht so recht zünden. So entwickelt Emma Watsons für ihre Mae zu wenig Persönlichkeit, um als Identifikationsfigur vollends zu überzeugen. „Star Wars“-Star John Boyega kann in einer Nebenrolle als geheimnisvoller Circle-Mitarbeiter Ty Lafitte kaum Profil zeigen. Nur Tom Hanks füllt die Rolle des charismatischen Unternehmers voll aus und wirft sein über Jahrzehnte erarbeitetes, vertrauenswürdiges Image in die Waagschale. Von wem, wenn nicht Tom Hanks, würde man sich schließlich selbst von der völligen Aufgabe der Privatsphäre überzeugen lassen?
All das macht die zunehmend weniger schlüssige Handlung allerdings nicht wett, die gegenüber dem Buch an mehreren Stellen geglättet wurde. Das Potenzial des Themas wird nicht ausgeschöpft, die Vision eines freiwilligen Marsches in ein System, das Transparenz vorgaukelt, aber nach Totalitarismus strebt, nur angerissen. Als Diskussionsgrundlage, gerade mit jüngeren Zuschauern, kann „The Circle“immer noch dienen, als filmisches Erlebnis bleibt es aber eine verpasste Chance.
The Circle. Regie: James Ponsoldt. Mit Emma Watson, Tom Hanks, John Boyega, Bill Paxton. USA 2017. 110 Minuten. FSK ab 12.