Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Ohrfeige für die Elite des Landes
Papst Franziskus kritisiert scharf die sozialen Unterschiede in Kolumbien – Polemik begleitet Besuch des Pontifex
BOGOTA - Die erste Rede des Papstes dauerte kaum sieben Minuten, aber in seinem kurzen Auftritt auf der Plaza de Armas im Zentrum von Bogotá benannte er mit wenigen Worten die Probleme Kolumbiens. Was Franziskus am Donnerstagmorgen sagte, klang wie eine Ohrfeige für die Eliten des Landes: „Die Ungleichheit ist die Wurzel aller Gewalt.“Man müsse alle Kolumbianer einschließen und nicht nur diejenigen, die „reinen Blutes“seien. Immer mal wieder erklang bescheidener Applaus, dabei war es doch eine Kritik an den ungerechten Zuständen im Land. Kolumbien gehört zu den Ländern auf der Welt mit der ungerechtesten Einkommensund Vermögensverteilung.
Das Oberhaupt der Katholischen Kirche war kaum zwölf Stunden im Land, da war schon klar, was das Ziel der Reise sein wird. Neben der Förderung von Versöhnung und Vergebung im Rahmen des Friedensprozesses will Franziskus die Ursachen deutlich benennen, die einst zum Ausbruch der Gewalt geführt haben: Armut, Ungleichheit, politische Exklusion. Dabei hat das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht vergessen, dass in dem südamerikanischen Land die Wiege der linken Befreiungstheologie liegt, die so lange von seinen Vorgängern bekämpft worden ist.
Dass das Thema Friedensprozess dominierend sein wird, zeigte sich schon zu Beginn des Papstbesuches. Am Rollfeld wurde Franziskus von dem 13 Jahre alten Emmanuel Rojas erwartet, der ihm eine stilisierte Friedenstaube überreichte. Rojas ist „ein Kind des Krieges“, wie Präsident Juan Manuel Santos später sagte. Er ist Sohn der Politikerin Clara Rojas, die 2002 gemeinsam mit der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt von den Farc-Rebellen entführt wurde. Der Junge wurde in Gefangenschaft im Dschungel geboren, der Vater ist ein Guerillero.
Der Junge repräsentiere die Veränderungen in Kolumbien, betonte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos. „Er ist im Krieg geboren, hat aber jetzt alle Möglichkeiten, in Frieden aufzuwachsen.“Das sei die Botschaft, die der Pontifex auch mit nach Kolumbien gebracht habe. Er wolle den Aufbau einer Friedensgesellschaft nach einem halben Jahrhundert Bürgerkrieg zwischen linken Guerilleros, dem Staat und ultrarechten Paramilitärs unterstützen, sagte Santos.
Offener Brief von Uribe
Der Präsident steht wegen des Papstbesuchs unter Druck, denn sein Land ist nicht nur zerrissen über den Friedensprozess, sondern auch über Franziskus’ Visite. Ultrakonservative Kreise der katholischen Kirche und die politische Rechtsaußen-Opposition polemisieren dagegen. Vor allem Ex-Präsident Álvaro Uribe, Vorgänger und inzwischen Intimfeind von Santos, hat den Papst in einem offenen Brief vor dessen Ankunft wissen lassen, dass er die „Straflosigkeit von schweren Verbrechen gutheiße“, wenn er die Friedensprozess unterstützt. Uribe gibt all jenen Kolumbianern eine Stimme, die knapp die Hälfte der Gesellschaft ausmachen und die früheren Rebellen nicht für soziale Aktivisten, sondern für Entführer, Drogenhändler und Verbrecher halten. Ihnen ist der Friedensprozess suspekt.
Auf seiner fünftägigen Reise durch Kolumbien wird der Papst zur Versöhnung aller Kolumbianer aufrufen und auch die rund 24 Millionen Menschen zu erreichen versuchen, die einen solchen Frieden nicht wollen. „Begegnet Euch als Brüder und nicht als Feinde“, sagte er in einer Grußbotschaft an die Kolumbianer vor Beginn der Reise. Nach Einschätzung von Experten stehen die Chancen nicht so schlecht, dass der Papst auf seiner Mission Erfolg hat. „Die Kirche ist die einzige Institution, der alle Seiten in Kolumbien vertrauen“, sagt zum Beispiel Pater Michael Heinz, Hauptgeschäftsführer des bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat in Essen.