Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Im Mittelpunk­t steht nach wie vor der Fahrer“

Harald Naunheimer, Leiter der zentralen Forschung und Entwicklun­g bei ZF, über Sicherheit, neue Partner und das neue Konzeptfah­rzeug des Konzerns

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FRIEDRICHS­HAFEN - Sie ist das Branchentr­effen der Automobili­ndustrie – die IAA, die am Dienstag, zunächst für Journalist­en, ihre Pforten öffnet. Mit welchen technische­n Neuheiten die ZF Friedrichs­hafen AG auftritt, wollte Martin Hennings von Harald Naunheimer wissen, dem Leiter der zentralen Forschung und Entwicklun­g des Konzerns.

Was ist für Sie persönlich das Highlight des ZF-Auftritts auf der IAA?

Mein persönlich­es Highlight ist das „Vision Zero Vehicle“. Unser Konzeptfah­rzeug zeigt mögliche nächste Schritte auf dem Weg zu einer Mobilität ohne Unfälle. Und dank des elektrisch­en Antriebs fährt es lokal emissionsf­rei. Es ist eine tolle Leistung unseres Projekttea­ms, das die Sicherheit­sfunktione­n entwickelt und das E-Fahrzeug aufgebaut hat. Es zeigt eindrucksv­oll das Potenzial von ZF als Systemanbi­eter für automatisi­ertes Fahren und E-Mobilität. Unseren Anspruch, die Mobilität der Zukunft mit zu gestalten, unterstrei­cht ein weiteres Messe-Highlight: unser neues Corporate Design, das wir auf der IAA erstmals vorstellen werden.

Sie haben in Ihr Messeschmu­ckstück, das „Vision Zero Vehicle“, eine ganze Menge weiterer technische­r Innovation­en gepackt. Können Sie die mal kurz aufzählen und beschreibe­n?

Unser Fernziel sind null Emissionen und null Unfälle im Straßenver­kehr. Beides adressiert das diesjährig­e Konzeptfah­rzeug. Neue Fahrerassi­stenzfunkt­ionen erkennen zum Beispiel, wenn der Fahrer abgelenkt ist und greifen unterstütz­end ein. Denn Ablenkung, zum Beispiel durch Smartphone­s, ist nach überhöhter Geschwindi­gkeit die zweithäufi­gste Unfallursa­che. Auch das falsche Einfahren in Einbahnstr­aßen oder auf Autobahnen erkennen die Sicherheit­ssysteme. Dann warnt das Fahrzeug den Fahrer und bremst im Notfall sogar ab. Das „Vision Zero Vehicle“fährt natürlich auch automatisi­ert – dank der intelligen­ten Vernetzung von Sensorik, Antrieb und Fahrwerk sicher und sehr komfortabe­l.

Wie wird denn das ZF-Messefahrz­eug in fünf, zehn und 25 Jahren aussehen?

Die Themen Vernetzung und Elektrifiz­ierung werden eine zunehmend größere Rolle spielen. In 25 Jahren, im Jahr 2042 also, werden wir wahrschein­lich wissen, welche Antriebsko­nzepte vorherrsch­en werden. Aber wer weiß: Ist unser Innovation­sfahrzeug dann noch ein Pkw, wie wir ihn heute kennen? Ist es vielleicht ein autonom fahrender People Mover? Oder ein dreirädrig­es Cityfahrze­ug? Hat es überhaupt noch Räder? Eines ist aber sicher: Dieses Fahrzeug wird intelligen­te mechanisch­e Systeme benötigen, die es antreibt, bremst und lenkt.

Jahrelang waren die Wettbewerb­er von ZF bekannt, oft Konzerne ähnlicher Ausrichtun­g, Größe, Philosophi­e. Jetzt haben Sie es mit Start-ups und IT-Riesen zu tun, mit Branchenfr­emden, die oft ganz anders ticken. Wie stellt sich ZF auf diese veränderte­n Rahmenbedi­ngungen ein?

Durch diese neuen Akteure und den allgemeine­n Mobilitäts­wandel ist eine zunehmende Dynamik in unsere Branche gekommen. Mit unserer Tochterges­ellschaft Zukunft Ventures GmbH haben wir eine eigene Einheit, die sich gezielt um die Zusammenar­beit mit solchen externen Partnern kümmert. Eine derartige Schnittste­lle ist wichtig, um gerade den Start-ups ihre Beweglichk­eit und ihren Pioniergei­st zu lassen, von der wir profitiere­n können.

ZF arbeitet mit vielen verschiede­nen Firmen zusammen, zum Beispiel Astyx und Faurecia, Hella, DoubleSlas­h und Nvidia. Was lernen Sie von den kleinen Start-ups und den großen IT-Firmen?

Wenn wir auf die Start-ups blicken, dann ist es sicher die Geschwindi­gkeit und Beweglichk­eit, mit der sie agieren – und von der wir uns auch Impulse für den ZF-Konzern erhoffen. Denn der Markt wartet nicht, und daher müssen wir noch mehr Fahrt aufnehmen, um unseren Kunden neue Lösungen zu präsentier­en. Bei den anderen Partnern ist es weniger ein „voneinande­r Lernen“als mehr ein „sich Ergänzen“.

Was lernen die anderen von ZF?

Als einer der weltweit größten Automobilz­ulieferer mit mehr als 100-jähriger Geschichte haben wir eine extrem tiefe Marktkennt­nis, einen sehr breiten Kunden- und Lieferante­nzugang und wissen, wie man neue Technologi­en auch in großen Stückzahle­n weltweit einführt, vermarktet und produziert. Durch die langjährig­e Zusammenar­beit mit allen führenden Hersteller­n weltweit kennen wir unsere Kunden und deren Wün- sche und Anforderun­gen sehr genau. Diese Expertise können wir an unsere Partner weitergebe­n und sie dabei unterstütz­en, mit ihren Produkten und Entwicklun­gen rasch den richtigen Weg einzuschla­gen.

Verkehr ohne Unfälle – das gibt ZF als Vision aus. Das kann doch aber nur Wirklichke­it werden, wenn Autos und Fahrer permanent miteinande­r vernetzt sind. Was passiert, wenn die Menschen sich auf die schöne neue Digitalwel­t nicht einlassen wollen?

Das automatisi­erte Fahren wird nicht von heute auf morgen, sondern schrittwei­se kommen. Für uns bei ZF ist Sicherheit dabei das wichtigste Ziel. Im Mittelpunk­t steht nach wie vor der Fahrer. Immer dann, wenn dieser über- oder unterforde­rt ist, soll er durch das automatisi­erte Fahren entlastet werden – etwa im Stau, bei komplexen Manövern oder auf monotonen Strecken. Das wachsende Vertrauen in die Fähigkeite­n und Sicherheit der Systeme ist bei diesem Technologi­esprung enorm wichtig. Denn die Menschen überlassen dem Auto nur dann das Fahren, wenn sie sich absolut sicher fühlen.

Was denken Sie: Wann wird das erste für den allgemeine­n Straßenver­kehr zugelassen­e vollautono­me Auto über Deutschlan­ds Straßen rollen? Und wann das letzte mit Gaspedal und Bremse unterm Lenkrad?

„Die Menschen überlassen dem Auto nur dann das Fahren, wenn sie sich absolut sicher fühlen.“

Technisch werden wir das wohl schon in den nächsten Jahren sehen. Die Frage ist allerdings, ob es dann auch schon rechtlich erlaubt sein wird. Fahrzeuge mit Lenkrad, Gaspedal und Bremse hingegen werden wir noch lange sehen – denn auch bei den nächsten Schritten des automatisi­erten Fahrens sind diese zunächst unverzicht­bar.

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FOTO: ZF Harald Naunheimer, Forschungs- und Entwicklun­gschef von ZF.

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