Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Charakterkopf für die Spitze
Wolfgang Schäuble soll Bundestagspräsident werden – Merkel sendet Signal für Jamaika
BERLIN - Nun hat er ja gesagt. Wolfgang Schäuble will Bundestagspräsident werden. Das war nicht selbstverständlich, denn Schäuble, seit 2009 Finanzminister, hing nicht nur an seinem Amt, er füllte es auch anerkannt gut aus. Schon vor der Wahl amüsierte sich Schäuble, wie viele Anwärter in künftigen Bündnissen jetzt plötzlich Finanzminister werden wollten.
Wenn jetzt der Bundestag voraussichtlich am 24. Oktober zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt, wird sich ein besonderes Schauspiel ergeben. Denn dann wird Schäuble nach seiner Wahl die Begrüßungsrede halten können, um anschließend an den Alterspräsidenten zur großen Rede weiterzuleiten: Das ist wiederum Schäuble. Gerade erst hat der Ältestenrat die Geschäftsordnung dahingehend verändert, dass der dienstälteste und nicht der älteste Abgeordnete das neue Parlament eröffnet. Dies war im Hinblick auf eine mögliche Eröffnungsrede eines AfD-Abgeordneten, dem antisemitische Äußerungen zugeordnet werden, geschehen.
Zäher Verhandler
Seit 1972 sitzt Wolfgang Schäuble im Bundestag, am vergangenen Sonntag erst hat er erneut das Direktmandat für seinen Wahlkreis Offenburg geholt. Schäuble war der Innenminister an Helmut Kohls Seite, als die deutsche Einheit verhandelt wurde. Kohl baute ihn viel zu spät als seinen Kronprinzen auf, in der Parteispendenaffäre kam es dann im Jahr 2000 zum offenen Bruch mit Kohl und zu Schäubles Rücktritt als CDU-Vorsitzender.
Zehn Jahre vorher, im Oktober 1990, war Wolfgang Schäuble im Wahlkampf von einem geistig verwirrten Mann angeschossen worden, seitdem sitzt er im Rollstuhl.
Schäuble ist seit 2009 Finanzminister und damit der am längsten amtierende Finanzminister in den Industriestaaten der Euro-Zone. Dort gilt er, auch wegen seines harten Griechenlandkurses, als zäher Verhandler. Zuhause hat er einen ausgeglichenen Haushalt durchgesetzt und ist, vielleicht auch deshalb, immer ganz oben an der Spitze der beliebtesten Politiker in Deutschland.
Deswegen fiel der Blick bei der Suche nach einem Nachfolger für Lammert nicht gleich auf Schäuble, denn er schien als Finanzminister unersetzbar. Andere Personalspekulationen machten die Runde. Die größte Fraktion stellt den Präsidenten, dass damit – auch nach der Wahl – die Union das Vorschlagsrecht hat, war ziemlich klar. „Volker Kauder könnte doch gut ein Parlament in Schach halten“, hieß es. Doch Kauder wollte weiter seine Fraktion leiten und Merkel wollte das wohl auch. Danach kam ein ganzes Anwärter-Karussell, Namen wie Michaela Noll, Monika Grütters und Hermann Gröhe fielen immer wieder.
Wolfgang Schäuble wurde zunächst nicht genannt. Denn bei ihm war, wie bei Kauder, klar, dass er eigentlich auf seinem Posten bleiben will. Und sein Nimbus in der Partei verhindert, dass er zu irgendeinem Amt getrieben werden könnte, das er selbst nicht will. Bei einem schwarzgelben Bündnis oder einer neuen Großen Koalition, beides war vor der Wahl nicht ausgeschlossen, hätte man vielleicht auch bei entsprechenden Verhandlungen die anderen von ihrem Wunsch nach dem Finanzministerium abbringen können. In einer Jamaika-Koalition aber ist das schwieriger. Da bleiben noch weniger Posten übrig als Verhandlungsmasse, und so wird es als Signal Angela Merkels für Jamaika gewertet, wenn Schäuble jetzt den Platz räumt.
Bei den Liberalen wird an oberster Stelle Volker Wissing, der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister und ehemaliger Finanzexperte der FDP-Bundestagsfraktion genannt, aber auch der Name Werner Hoyer, der frühere FDP-Generalsekretär und heutige Präsident der Europäischen Investitionsbank, fällt. Auch die Grünen haben schon mit dem Finanzministerium kokettiert.
Während die Nachfolge also noch offen ist, trifft der Vorschlag Schäuble auch in der SPD und bei den Linken auf Wohlgefallen. Zum einen, weil man seine rhetorischen Fähigkeiten schätzt und ihn für einen unabhängigen Geist hält , zum anderen, weil man auf einen Finanzminister hofft, der etwas mehr Geld für die Renten oder für Europa übrig hat.