Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
EU-Visionär
EU-Kommissar Frans Timmermans hat viel Sinn für Humor. So findet es der 56-Jährige amüsant, daheim von seinem Sohn mit den Worten begrüßt werden: „Guten Morgen, du gesichtsloser ungewählter Bürokrat.“Wenn ein Rad einen Platten habe oder es zu regnen anfange, scherze die Familie Timmermans: „Daran ist Brüssel schuld“– und alle würden lachen, erzählte der vierfache Vater im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
Doch wenn es um den Zusammenhalt der EU und deren Werte geht, versteht Timmermans keinen Spaß. So lieferte sich die rechte Hand des EUKommissionschefs Jean-Claude Juncker monatelang einen harten verbalen Schlagabtausch mit der Regierung in Warschau, die mit ihrer Justizreform aus EU-Sicht den Rechtsstaat in Polen beschädigt hat. Gegen Polen wurde ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. „Die Herrschaft des Rechts ist einer der Werte, auf denen unsere Union gegründet wurde“, warnte im August der niederländische Sozialdemokrat und drohte offen damit, „alle zur Verfügung stehenden Instrumente“zu nutzen, wenn die polnische Gewaltenteilung weiter in Gefahr sei. Zurzeit zeigt sich Polen wieder eher gesprächsbereit, und auch Frans Timmermans hat vorerst seine Rhetorik heruntergeschraubt.
Er hat noch mehr Gründe, um gerade um den Erfolg seines Lebensprojekts Europa zu bangen – etwa das Erstarken des Nationalismus auf dem Kontinent. Timmermans verglich ihn mit dem Alkoholismus: „Man fühlt sich vielleicht gut, aber am nächsten Morgen wacht man mit einem Riesenkater auf“. Der niederländische Ex-Außenminister, der sechs Sprachen spricht, gehört zu den Visionären in Brüssel, die einen EU-Wandel fordern. Ein Europa mit Herz, nah an den Bürgern. „In der Politik geht es nicht um gestern oder heute, sondern um Hoffnungen der Menschen und ihre Zukunftspläne“: Mit diesem Motto liegt Timmermans auf der Linie seines Chefs Juncker. Alexei Makartsev