Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Der Fahndungsdruck ist jetzt enorm“
Lebensmittel-Erpresser: Polizei hofft auf schnellen Erfolg – Supermärkte teils ohne Babynahrung
FRIEDRICHSHAFEN - Vergiftete Babynahrung in Häfler Supermärkten: Die Nachricht schlug gestern ein wie eine Bombe. Und sie zeigte Wirkung: Einige Supermärkte nahmen Gläschen mit Kürbis- oder Apfelbrei aus dem Angebot. Überall wird streng kontrolliert. Ein Supermarktbetreiber berichtet, wie ein Mitarbeiter eines der verdächtigen Produkte gefunden hat. Er hat nur einen Wunsch: dass der Erpresser schnell gefasst wird.
Der Supermarkt sei am vergangenen Samstag vorab über die Drohung informiert worden, berichtet der Geschäftsführer. Daraufhin habe man sofort gründliche und scharfe Kontrollen eingeführt. Dabei entdeckte ein Mitarbeiter vor Ort ein verdächtiges Glas. „Wir haben die Kripo alarmiert. Die hat das Glas dann gleich abgeholt.“Der Erpresser verlangt einen zweistelligen Millionenbetrag und droht damit, weitere vergiftete Lebensmittel in Umlauf zu bringen. Welche Waren betroffen sind, wo der Täter zuschlagen will, das ist nicht bekannt. Die Drohung gilt offenbar ausdrücklich für ganz Deutschland und darüber hinaus, nicht nur für die Stadt Friedrichshafen.
Wichtige Überwachungsvideos
Ob die Fotos, die die Polizei vom mutmaßlichen Täter veröffentlicht hat, aus seiner Filiale stammen, kann der Häfler Lebensmittelhändler nicht sagen. Zumindest seien auch die Aufnahmen seiner Überwachungskameras ausgewertet worden. Der Täter lege es darauf an, alle in Aufregung zu versetzen, sagt der Geschäftsführer, der weder seinen Namen noch den seines Unternehmens in der Zeitung lesen will. Alle anderen kontaktierten Händler haben auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“gar keine Auskünfte gegeben oder auf Konzernzentralen verwiesen.
Kunden und Mitarbeiter gingen mit der ganzen Situation besonnen um, berichtet der Lebensmittelhändler. Seit Bekanntwerden der Drohung werde laufend kontrolliert, „alle Deckel, alle Banderolen, den ganzen Tag über“. Man tue alles, um Schaden von den Kunden abzuwehren. Im Moment hat der Geschäftsführer vor allem einen Wunsch: „Es ist wichtig, dass der Täter ganz schnell gefasst wird.“
Daran arbeitet Uwe Stürmer, Chef der Häfler Kripo und stellvertretender Polizeipräsident von Konstanz. Bei ihm laufen die Fäden zusammen, zurzeit sind 220 Ermittler eingesetzt, auch das Landeskriminalamt und Spezialkräfte sind an Bord. „Der Täter
„Der Täter hatte es nicht in der Hand, ob wir das Zeug rechtzeitig finden oder ob es abverkauft wird.“
ist absolut skrupellos“, sagt Stürmer. Die gefundene Babynahrung war „toxisch vergiftet. Es drohten schwerste Vergiftungen bis hin zum Tod.“Mit fünf vergifteten Gläschen hat der Unbekannte am Samstagabend gedroht, fünf solcher Gläschen hat die Polizei sichergestellt. Die Beamten waren Samstagabend und den ganzen Sonntag im Einsatz. „Der Täter hatte es nicht in der Hand, ob wir das Zeug rechtzeitig finden oder ob es abverkauft wird.“
Zunächst hat die Polizei gehofft, den Mann auf den Fahndungsfotos, die jetzt bundesweit zu sehen sind, schnell zu ermitteln. Das gelang nicht. „Das Risiko war uns jetzt zu groß, deshalb die Pressekonferenz“, sagt der Kripochef, der von zahlreichen Anrufen bei der von der Polizei eingerichteten Hotline berichtet.
Unterdessen gibt es in der Häfler Innenstadt viele Supermärkte und Drogerien, die am Donnerstag Babynahrung komplett aus dem Sortiment genommen haben. Im Umland dagegen werden die Produkte weiterhin verkauft, wie eine Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“ergab. Ein Engpass bei Lebensmitteln für die Kleinen droht nach Einschätzung Kripochef Uwe Stürmer des Landratsamtes Bodenseekreis nicht. „Nach unserer jetzigen Einschätzung ist das keine Situation, die behördliches Handeln erfordert. Das wäre der Fall, wenn man einen längeren Engpass zu erwarten hätte. Wir gehen aber davon aus, dass man sich im Umland oder auch bei Nachbarn und Freunden versorgen kann“, sagt Robert Schwarz, Sprecher der Landratsamtes. „Es ist verständlich, dass gerade Eltern von kleinen Kindern beunruhigt sind, aber rational betrachtet
ANZEIGE ist der Fokus jetzt weg von der Babynahrung. Wir geben die behördliche Empfehlung weiter, Verpackungen zu überprüfen und bei Babygläschen auf den Klick zu achten.“
OB rät zu Besonnenheit
Zur Wachsamkeit mahnt auch Oberbürgermeister Andreas Brand: „Wie alle anderen bin ich persönlich und auch als Oberbürgermeister zutiefst erschüttert. Ich kann nur alle dazu aufrufen, besonnen zu bleiben und jetzt besonders aufmerksam und vorsichtig zu sein. Bei einem Verdacht sollte jeder von uns sofort die Polizei informieren und sie bei den Ermittlungen unterstützen.“
„Es gibt jetzt keinen Anlass zu Hysterie oder Panik“, sagt Kripochef Uwe Stürmer und hofft wie alle auf einen schnellen Ermittlungserfolg: „Der Fahndungsdruck auf den Täter ist jetzt enorm. Es wird ihm schwer fallen, noch einmal etwas auszulegen.“