Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Psychisch auffällig und hochgefährlich
Hinweise aus der Bevölkerung führen zur Festnahme des Supermarkterpressers
KONSTANZ - Der mutmaßliche Supermarkterpresser muss mit einer harten Strafe rechnen. Wenn die Ermittler dem 53-jährigen Tatverdächtigen eine Tötungsabsicht nachweisen können, droht ihm lebenslange Haft. Das ist einer von mehreren Aspekten, denen die Polizei nach der Festnahme des Mannes nachgeht. Er hat die Vorwürfe eingeräumt und ist in Untersuchungshaft.
Die Erleichterung war dem Friedrichshafener Kripo-Chef und Konstanzer Polizeivizepräsidenten Uwe Stürmer deutlich anzumerken, als er gemeinsam mit dem Leitenden Ravensburger Oberstaatsanwalt Alexander Boger am Samstag in Konstanz vor die Presse trat. Dieser Fall war anders, weil der Erpresser gezeigt hat, dass er nicht nur ddamit droht, sondern tatsächlich Lebensmittel vergiftet. „Das hat ihn so ausgesprochen gefährlich gemacht“, sagt Stürmer.
Die Ermittler hatten vor zwei Wochen in einem Supermarkt in Friedrichshafen fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung sichergestellt. Dass niemand getötet wurde – ein Zufall. „Er hatte es nicht im Griff, ob ein Glas verkauft worden wäre“, sagt Stürmer. Das ließe sich anhand der Zeitstempel der Videoaufnahmen der Überwachungskamera sagen, auf denen der Tatverdächtige zu sehen ist. Entsprechend hart könnte im Strafprozess das Urteil ausfallen: Die versuchte schwere räuberische Erpressung, auf die der Haftbefehl lautete, sieht im Höchstfall 15 Jahre Haft vor, wie Boger erklärt. Wenn sich zweifelsfrei beweisen lässt, dass der 53Jährige Menschen töten wollte, könnte der Verbrecher aber auch lebenslang hinter Gitter kommen.
Die Beweislast ist erdrückend. In der Wohnung des Mannes in Ofterdingen bei Tübingen fand die Polizei giftiges Ethylenglykol, das auch in die fünf sichergestellten Gläschen mit Babybrei in Friedrichshafen gemischt worden war. Die 500-Milliliter-Flasche war zur Hälfte leer. „In den Babygläschen waren 40 bis 50 Milliliter drin“, rechnet Uwe Stürmer vor. Das fügt sich – wie die DNASpuren – ins Mosaik der Indizien ein.
Untersucht wird derzeit noch der Laptop des Tatverdächtigen. Den fanden die Ermittler in einem Altkleidercontainer in der Nähe der Wohnung des 53-Jährigen – neben einer schwarzen Tasche und den Sportschuhen mit der auffälligen weißen Sohle. Mehrere Hinweise – unabhängig voneinander – hatten die Polizei auf die Fährte des Erpressers gebracht. Der Wohnort wurde ausfindig gemacht, die Ermittler beobachteten den Mann – Spezialkräfte griffen dann Freitagnachmitag zu. Der Mann sei überrascht gewesen, habe sich aber ohne Widerstand festnehmen lassen. „Da hätte er auch keine Chance gehabt“, merkt Stürmer trocken an.
Der Tatverdächtige, der seit 2015 in Ofterdingen wohnte, zuvor in Bayern gemeldet war und eine Zeit lang am Bodensee und in Österreich gelebt haben soll, habe „Brüche in der Biografie“, sagt Stürmer. Es handle sich um einen exzentrischen Einzelgänger, der in der Vergangenheit bereits psychische Auffälligkeiten gezeigt habe. Boger spricht zudem von „strafrechtlichen Vorbelastungen“, ohne ins Detail gehen zu können. Mit diesen Angaben bestätigen die Ermittler, was der Kriminologe Christian Pfeiffer der „Schwäbischen Zeitung“jüngst gesagt hatte: Er schätzte den Täter als „gescheiterte Existenz“mit psychischer Störung ein.
„Aufgeboten, was wir hatten“
Der Erpresser hatte in einer E-Mail am 16. Sepember von mehreren Handelsketten einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag gefordert und gedroht, bundesweit 20 vergiftete Lebensmittel in Umlauf zu bringen. Die Fahndung war schneller erfolgreich als erwartet. Noch am Freitag hatte Stürmer um Geduld gebeten. Weil der Erpresser angedroht hatte, am Wochenende erneut vergiftete Lebensmittel in Umlauf zu bringen, war der Druck enorm. „Wir haben aufgeboten, was wir hatten“, sagt Kripo-Chef Stürmer. So waren Hubschrauber und Hunderte Polizisten im Einsatz. Das rund um die Uhr besetze Callcenter der Polizei registrierte 1500 Anrufe und 400 Mails. Es waren Hinweise aus der Bevölkerung, die zur Festnahme führten.
Komplette Entwarnung gab es trotz der Festnahme zunächst nicht, weil unsicher war, was der Tatverdächtige zwischen der Veröffentlichung der Fahndungsfotos am Donnerstag und der Festnahme am Freitag machte. Vor dem Haftrichter beim Amtsgericht Ravensburg sagte der 53-Jährige Polizeiangaben zufolge, dass er keine weiteren vergifteten Lebensmittel in den Handel gebracht habe. Es scheint, als könnten die Verbraucher wieder gelassener einkaufen als in den vergangenen Tagen.
Eindrücke von der Pressekonferenz sehen Sie in einem Video unter www.schwäbische.de/erpresser.