Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Streit um 28-Stunden-Woche
IG Metall geht mit harten Forderungen in Tarifrunde
FRANKFURT (dpa) - In der ab 15. November anstehenden Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie tragen die Bezirke der IG Metall die vom Vorstand empfohlene harte Linie mit. Bundesweit beschlossen am Dienstag die regionalen Tarifkommissionen, neben sechs Prozent mehr Lohn verkürzte Arbeitszeiten für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten zu fordern. Alle Beschäftigten sollen auf eigenen Wunsch ihre Wochenarbeitszeit für eine befristete Zeit von zwei Jahren auf bis zu 28 Stunden verringern können. Die bundesweit einheitliche Forderung wird morgen festgezurrt.
Stefan Wolf, Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, zeigte sich in Sachen Lohnerhöhung kompromissbereit, „aber die geforderten sechs Prozent sind fern jeglicher Realität“. Die Forderungen zur Arbeitszeit bezeichnete er als teuer, ungerecht und betrieblich nicht umsetzbar.
RAVENSBURG - In der Tarifrunde für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie tragen die sieben Bezirkskommissionen die vom Vorstand der Gewerkschaft empfohlene harte Linie mit. Neben sechs Prozent mehr Lohn soll es die grundsätzliche Möglichkeit für die Beschäftigten geben, ihre Wochenarbeitszeit auf 28 Stunden zu reduzieren. Das haben die zuständigen Gremien in den IGMetall-Bezirken am Dienstag beschlossen. Endgültig verabschiedet wird die Tarifforderung vom IG-Metall-Vorstand um GewerkschaftsChef Jörg Hofmann an diesem Donnerstag.
„In den Betrieben im Südwesten läuft es sehr gut. Die Auftragsbücher sind voll, die Kapazitäten vielfach am Anschlag“, sagte Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, in einer ersten Reaktion. Aktuelle Stimmungsbarometer zeigten, dass die große Mehrheit der Betriebsräte ihre Betriebe in robuster Verfassung sähen. Und auch in der Gesamtwirtschaft zeigten die Prognosen für 2018 weiter nach oben. „Das ist eine gute Grundlage, um ordentliche Entgeltsteigerungen für die Beschäftigten durchzusetzen“, so Zitzelsberger. Angesichts bisheriger Äußerungen der Arbeitgeber erwartet der IG MetallLandeschef aber „eine schwierige Tarifrunde“.
Kritiker: „Völlig weltfremd“
Damit dürfte Zitzelsberger nicht übertreiben. Im Vorfeld hatte etwa der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger, den Forderungskatalog als „völlig weltfremd“gegeißelt. Die badenwürttembergischen Metallarbeitgeber hatten der Gewerkschaft vorgeworfen, in der anlaufenden Tarifrunde „endgültig im Wolkenkuckucksheim angekommen“zu sein. Verbands-Chef Stefan Wolf sprach gar von einer „tarifpolitischen Geisterbahnfahrt“.
Am Dienstag klangen die Reaktion verbal zwar etwas gemäßigter, am Kern der Aussagte änderte sich jedoch nichts. „Angesichts der guten Konjunktur in unserer Industrie ergibt sich sicherlich die Möglichkeit einer angemessenen Entgelterhöhung. Aber die geforderten sechs Prozent sind fern jeglicher Realität“, erklärte Südwestmetall-Chef Wolf. Die Vorstellungen zur Arbeitszeit seien ebenfalls zu teuer, ungerecht, betrieblich nicht umsetzbar und würden den Fachkräftemangel verschärfen.
Stein des Anstoßes aus Arbeitgebersicht: die Arbeitszeitverkürzung. Geht es nach der IG Metall, sollen Arbeitnehmer künftig ihre Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang von 35 auf 28 Wochenstunden reduzieren und im Anschluss zur 35-Stunden-Woche zurückkehren können. Für Beschäftigte mit Kindern unter 14 Jahren oder mit zu pflegenden Angehörigen will die IG Metall einen Entgeltzuschuss erreichen; ebenso für Beschäftigte in belastenden oder restriktiven Arbeitszeitsystemen wie zum Beispiel Schichtarbeit.
Angst um Wettbewerbsfähigkeit
Gesamtmetall-Chef Dulger zufolge würden dadurch überschlägig 200 000 Fachkräfte fehlen. „Wenn einer weniger arbeitet, dann muss ein anderer dafür länger arbeiten dürfen“, forderte er. Einen Lohnausgleich bei verkürzter Arbeitszeit lehnte Dulger strikt ab: „Mehr Geld für Nichtstun wird es mit uns nicht geben.“
Dietrich Birk, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinenund Anlagenbau (VDMA) in Baden-Württemberg, sieht das Tarifpaket der IG Metall ebenfalls kritisch: „Die Forderung von sechs Prozent mehr Lohn und der Einstieg in die 28-Stunden-Woche passt nicht zur aktuellen Situation.“Birk fürchtet um die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und verwies im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“auf einen Lohnanstieg von 20 Prozent aus den vergangenen vier Tarifrunden. Dem stünden Preissteigerung von nur acht Prozent und ein Produktivitätszuwachs von gerade einmal einem Prozent gegenüber. „Wir müssen einfach schauen, dass wir wettbewerbsfähig bleiben.“Der VDMA-Bezirkschef zweifelte den umstritten Teil des Tarifpakets zudem generell an: „Mein Eindruck ist, die Facharbeiter wollen lieber einen Lohnzuwachs anstatt eine Arbeitszeitverkürzung.“
Zitzelsberger wies die Kritik zurück und warf den Arbeitgebern vor, die Bedürfnisse der Beschäftigten nach mehr Zeitsouveränität zu ignorierten und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht zu sein. „Für uns sind die Forderungen nach mehr Geld und einem Anspruch auf kürzere Arbeitszeit ein Paket, das nur gemeinsam gelöst werden kann.“Mit Blick auf den geforderten Lohnausgleich sagte Zitzelsberger, dass sich viele Beschäftigte kürzere Arbeitszeiten gar nicht leisten könnten. Für diese Menschen brauche es einen teilweisen Ausgleich des fehlenden Verdiensts.