Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Wer bestechen kann, kommt weiter“
Rafik Schami fasziniert mit Geschichten aus Damaskus
FRIEDRICHSHAFEN - Zur Vorstellung von Rafik Schamis im September erschienenem Jugendroman „Sami und der Wunsch nach Freiheit“hat die Buchhandlung RavensBuch am Freitagabend ins Graf-ZeppelinHaus eingeladen. Seit 1992 hat Geschäftsführer Michael Riethmüller ihn immer wieder nach Ravensburg und Friedrichshafen geholt, doch nachdem bei seinen Besuchen hier die Buchhandlung aus allen Nähten platzte, fand die Veranstaltung diesmal im Ludwig-Dürr-Saal statt. Freudig folgten die Zuhörer im vollen Saal der orientalischen Fabulierkunst des syrischen Autors.
Rafik Schami liest nicht, er sitzt auch nicht am Tisch mit dem Buch, sondern er sucht die Nähe seiner Zuhörer – dafür ließ er extra das Licht wieder heller stellen – und erzählt sein Buch, „300 Seiten in einer Stunde“, es sind eineinhalb Stunden geworden. Wer danach darin blättert, ist erstaunt, wie detailgenau er alles wiederfindet, manches war noch weiter ausgeschmückt.
Einem Orientalen dürfe man nur die Hälfte von dem glauben, was er erzählt, meinte der Autor schmunzelnd, doch nehmen wir einmal an, es stimmt, was er zum Entstehen dieses Romans erzählt, den er „den tapferen Kindern von Daraa“gewidmet hat, „die im Frühjahr 2011 rebellierten, um den Erwachsenen zu helfen, aufrecht zu gehen“. Bei Freunden habe er zufällig den syrischen Flüchtling Scharif kennengelernt, der ihm anbot, ihm die Geschichte seines Freundes Sami und seiner Narben zu erzählen. Er schenke sie ihm, er wolle nur eine Laute dafür, er will Musiker werden. Schnell habe die Geschichte ihn gefesselt, Scharif wird sein Ich-Erzähler. Sami war für Scharif wie ein Zwillingsbruder, die ganze Kindheit in den Gassen von Damaskus, die Schulzeit bis zum Abitur waren sie unzertrennlich, bis sie sich gegen den Diktator stellten, der Geheimdienst auf ihre Spur kam, Scharif die Flucht nach Deutschland gelang und Samis Spur sich verlor.
Als die Erde anfing zu beben
Scharif erzählt von einer untergegangenen Welt. „Die Syrer haben nicht nur gelitten unter Assad, sie haben gelebt, haben gefeiert“, sagt dazu der Autor. Er wolle nicht über die Revolution schreiben, sondern die Hintergründe zeigen, die Zeit davor, als „die Erde anfing zu beben“. Korruption ist allgegenwärtig in Scharifs Erzählungen. Nur mit Bestechung können die Freunde das Abitur erreichen, das Tor zu einem besseren Leben. Und mittendrin erzählt Scharif/Schami von der Kette scheiternder Liebesgeschichten des Draufgängers Sami, von seinem eisernen Training, das ihn fähig machte, den brutalen Vater davon abzuhalten, die Mutter zu prügeln. Er erzählt vom Postboten, der den Analphabeten die Briefe geschönt vorliest, er erzählt von Katzen, die nie dankbar sind, sondern uns allenfalls erlauben, ihnen zu dienen. Er erzählt vom Onkel, der sich Assads Konterfei auf die Brust tätowieren lässt und die Muskeln so trainiert, dass er es nach Belieben verziehen kann, bloß dumm, dass er sich dann einen Bauch angefressen hat.
Man ist in einer anderen Welt und wird nicht ruhen, bis man alle Abenteuer selbst gelesen hat.