Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Stimmungsu­nterschied­e zwischen Leben und Gedichten

Vortrag über den schwäbisch­en Arzt und Dichter Justinus Kerner – Großer Andrang im Franziskus­zentrum

- Von Hermann Marte

FRIEDRICHS­HAFEN - Am Samstag hat die Hospizbewe­gung St. Josef zu einer poetisch-musikalisc­hen Reise ins Weinsberg des 19. Jahrhunder­ts eingeladen. Im Foyer des Franziskus­zentrums stellten Kurt Drechsel, Martin Kirscht und Josef Nagel den Zuschauern Justinus Kerner, den schwäbisch­en Arzt und Dichter, vor.

Nur wenige können heute mit dem Namen Justinus Kerner spontan noch etwas anfangen. Dennoch entschied sich die Hospizbewe­gung St. Josef ihren Veranstalt­ungstag dieses Jahr diesem Dichter und seinem Lebensweg zu widmen. Ein gewagter Entschluss, bisher hatte es hier immer Vorträge und Podiumsdis­kussionen zum Thema Sterbehilf­e gegeben, also dem eigentlich­en Geschäft des eingetrage­nen Vereins. Diesmal ging man jedoch andere Wege und schon zu Beginn war offensicht­lich, dass diesem Versuch ein großer Erfolg beschieden war, denn das Foyer des Franziskus­zentrums war so voll, dass man zwischen den Stühlen kaum noch laufen konnte.

Vor diesem geneigten Publikum begann Kurt Drechsel einen Vortrag über Leben und Werk Justinus Kerners, begleitet von Martin Kirscht am Klavier und Josef Nagel als Sänger. Es war ein Leben voller Gegensätze. Eigentlich hätte er Kaufmann werden sollen, aber durch Fürsprache konnte er doch in Tübingen Medizin studieren. Hier lernte er Ludwig Uhland, Gustav Schwab und viele andere Dichter kennen, die später mit ihm den Kern der „Schwäbisch­en Dichtersch­ule“bildeten. Überhaupt war Kerner sein Leben lang eine Art zentrale Anlaufstel­le für Dichter. In seinem später errichtete­n „Kernerhaus“gaben sich zahlreiche Poeten die Klinke in die Hand und viele von ihnen waren lange Zeit zu Besuch.

Lebensfreu­de und Melancholi­e

Von all diesen Begebenhei­ten wie auch von Kerners geliebter Ehefrau „Rickele“und seinen Kindern weiß Drechsel lang und sehr ausführlic­h zu berichten. Dabei wies er auch auf den Stimmungsu­nterschied zwischen Kerners Leben und seinen Gedichten hin. Denn während ersteres von zahlreiche­n Freundscha­ften und viel Lebensfreu­de geprägt ist, sind seine Gedichte in der Mehrzahl melancholi­sch. So stammt von Kerner sogar der Ausspruch „Schmerz ist der Grundton der Natur“, der auch zum Titel der Veranstalt­ung gewählt wurde.

Nach einer halben Stunde Vortrag hatten dann Kirscht und Nagel ihren ersten Einsatz und brachten das Lied „O Tübingen, Du teure Stadt“zu Gehör. Die Aufforderu­ng an das Publikum ab der zweiten Strophe mitzusinge­n verfing allerdings noch nicht. Erst beim zweiten Lied trauten sich die Zuschauer einzustimm­en. Der kunstliedh­afte Gesang Nagels schreckte die Gesangslai­en wohl erst einmal eher vom Mitsingen ab.

Zehn Lieder begleitete­n den Vortrag insgesamt, davon vier zum Mitsingen. Zum Abschluss dann jenes Werk, das den Zuschauern offenbar deutlich am bekanntest­en war, die inoffiziel­le Hymne Württember­gs „Der reichste Fürst“. Bei der Geschichte vom Grafen Eberhard im Bart, der sein Haupt gefahrlos jedem seiner Untertanen in den Schoß legen konnte, wurde allseits kraftvoll mitgesunge­n.

Wie erfolgreic­h der Nachmittag war, zeigte sich nicht nur an dem kräftigen Applaus, sondern auch daran, dass die Programmze­ttel mit den Liedtexten, die sonst nach den Veranstalt­ungen überall auf den Stühlen liegen bleiben, allesamt mitgenomme­n wurden.

Wer dann noch ein wenig Zeit hatte, konnte sich ein Glas des nach dem Dichter benannten „Kerner-Weins“gönnen. Dieser war eine großzügige Spende des Winzervere­ins Hagnau.

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