Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
MTU will Motor in Indien produzieren
Unternehmen prüft mehrere Optionen – Noch steht keine Entscheidung fest
Ende von Produktion in Überlingen möglich.
FRIEDRICHSHAFEN - Bis zum Jahresende 2018 wird die MTU ihre Motoren der Baureihe 1600 noch in Überlingen montieren. Und danach? Möglicherweise in Indien.
„Rolls-Royce Power Systems verhandelt derzeit mit dem indischen Fahrzeughersteller Force Motors Limited über die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens in Indien. Es ist daran gedacht, ... Motoren und Stromerzeugungssysteme sowie Bahnmotoren und entsprechende Ersatzteile für den indischen Markt und den Weltmarkt in einem Werk ... in der Nähe von Pune zu produzieren.“Diese Mitteilung veröffentlichte Rolls-Royce Power Systems am 12. September im firmeneigenen
Intranet. Andreas Schell, Vorstandsvorsitzender des Häfler Motorenbauers, wird zitiert mit den Worten: „Die Verhandlungen befinden sich in einer frühen Phase. Wir können derzeit keine weiteren Einzelheiten nennen, da viele Themen erst noch intensiv diskutiert werden müssen.“Wenngleich die Nachricht ziemlich knapp gehalten ist, gehen Beobachter der Szene da- von aus, dass sich hinter diesen Zeilen mehr verbirgt – und in der Chefetage von Rolls-Royce Power Systems eine weitreichende, strategische Entscheidung vorbereitet wird: die Produktion der Motoren-Baureihe 1600 von Überlingen nach Indien zu verlagern.
Endlich ein eigenes Produkt
Rückblende: Am 5. Mai 2009 stellt die MTU – damals noch als Tochter der Tognum AG – den „1600er“vor. Und zwar mit ordentlich Brimborium: im Steigenberger-Hotel in Konstanz, vor 150 Vertragshändlern und Kunden aus aller Welt, mit Amazonen, die eine Art Laser-Schwert schwingen. Das Unternehmen will mit dem neuen Motor sein Produktportfolio im – für MTU-Verhältnisse – unteren Leistungsbereich erweitern. Mögliche Verwendungen für das zwischen 270 und 730 kW starke Aggregat: Stromerzeugungsanlagen, Bau- und Industriemaschinen, land- und forstwirtschaftliche Maschinen sowie Schienenfahrzeuge. Bislang hatte die MTU in dieser Leistungsklasse nur Fremdmotoren vertrieben, vor allem von Mercedes-Benz. Mit dem „1600er“kann der Häfler Motorenbauer der Kundschaft endlich ein eigenes Produkt verkaufen. MTU setzt große Stücke auf die Neuentwicklung, nicht weniger als eine neue Ära wird ausgerufen. „Die Baureihe 1600 wird unser Unternehmen ähnlich wandeln wie die Entwicklung und Einführung der Baureihen 2000 und 4000 in den 1990er-Jahren“, sagt der damalige Technikvorstand Gerd-Michael Wolters bei der Präsentation. MTU reserviert sich damals eine Fläche im Gewerbegebiet Steigwiesen zwischen Kluftern und Immens- taad, um dort die Möglichkeit zu haben, ein Motorenmontagewerk hinzustellen. Für das Jahr 2016 wird eine Jahresproduktion von 20 000 Motoren des Typs 1600 in den Raum gestellt.
Es sollte alles anders kommen. Über Stückzahlen spricht MTU inzwischen nicht mehr öffentlich. Laut Schätzungen von Kennern des Unternehmens wurden im vergangenen Jahr etwa 2000 der „kleinen“Dieselmotoren montiert – von 50 Mitarbeitern in den angemieteten, ehemaligen Kramerwerken in Überlingen. Über den Status eines Pilotwerks, als das die Überlinger Dependence startete, ist man nie hinaus gekommen. Warum der „1600er“– trotz gutem Zeugnis von Experten – bei der Kundschaft nicht ankam? Darüber gehen die Meinungen auseinander. „Gründe sind veränderte Marktentwicklungen, die bei der Entwicklung des Motors nicht absehbar waren“, erklärt ein MTU-Sprecher auf Anfrage der Schwäbischen Zeitung. Es gibt aber auch einige MTUler, die hinter vorgehaltener Hand argwöhnen, dass der „1600er“etwas abgewürgt wurde, nachdem Daimler und RollsRoyce 2011 die Tognum AG übernommen hatten. Warum? Weil die Stuttgarter kein großes Interesse hatten, ein Konkurrenzprodukt zu fördern.
Da die anerkannte Qualität offenbar als Verkaufsargument nicht ausreicht, könnte MTU jetzt versuchen, die Kundschaft mit dem Preis zu überzeugen: Im Niedriglohnland Indien dürfte die Produktion der „1600er“deutlich billiger sein als am Bodensee.
„Wir denken darüber nach, wie und wo wir die Motoren der Baureihe 1600 künftig montieren. Eine Produktion in Indien ist eine von mehreren möglichen Optionen. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen“, teilt MTU mit.
„Die Verhandlungen befinden sich in einer frühen Phase.“Andreas Schell