Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die blutroten Segel des Piratenschiffs
Vergnüglich serviert die Oper Leipzig Gilbert & Sullivans Operette „Die Piraten“
FRIEDRICHSHAFEN - Zwar ist das Autorenduo Gilbert & Sullivan hierzulande weit weniger bekannt als Johann Strauß oder Jacques Offenbach, doch in England gelten auch sie als Begründer und Vollender der nationalen Kunstgattung Operette und unbestritten ist ihre überregionale Bedeutung. So ist es kein Wunder, dass die Besucher, die am Samstag und Sonntag im Graf-Zeppelin-Haus das spritzige Gastspiel der Musikalischen Komödie der Oper Leipzig erlebten, von den „Piraten von Penzance“hell begeistert waren.
Umso mehr, als die Übersetzung von Inge Greiffenhagen und Bettina von Leoprechting auch einen großen Teil des typisch britischen Humors und des englischen Sprachwitzes ins Deutsche rettet. Das Besondere an Sir Arthur Sullivans Musik ist, dass sie auch die absurdesten Ideen von William Schwenck Gilberts Libretto ernst nimmt – das Säbelrasseln der Bilderbuchpiraten, die nächtlichen Gewissensbisse des Generalmajors wie das Knieschlottern der Polizisten. Wunderbare Koloraturen und lyrische Innigkeit hat Sullivan der liebenden Mabel und ihrem Ex-Piraten Frédéric in den Mund gelegt, als er zu den Piraten zurückkehren muss, weil er an einem 29. Februar geboren und daher angeblich nicht volljährig sei, sondern erst seinen fünften Geburtstag hinter sich habe – tapfer will seine Mabel 63 Jahre auf ihn warten. Eine der absurden Szenen in einem Stück, das wilde Piraten, brave Polizisten und hübsche Mädchen aufeinander loslässt, immer augenzwinkernd parodistisch ein „very British“Pflichtgefühl einfordernd. Die Musik dagegen, die in sprühender Laune Rossini und Donizetti ebenso zitiert wie Mo- zart oder Offenbach, ist ein reiner Ohrenschmaus und kommt unter der Leitung von Tobias Engeli flott und spritzig aus dem Orchestergraben.
Chöre singen nicht nur schön
Ein Glück ist, dass Cusch Jung das Ganze ohne aufgesetzte Aktualisierung und ohne Klamauk, sondern als vergnügliche Parodie inszeniert und choreographiert, die Figuren ernst nimmt und den reizvollen Kontrast von Musik und Handlung bewusst stehenlässt. Bestens passen die große, geneigte Drehscheibe und die operettenhaften Kostüme von Beate Zoff dazu, die die Auftritte von Piraten, heiratslustigen Mädchen und angstschlotternden Polizisten zur Augenweide machen. Männerchöre und Frauenchor sind von Matthias Drechsler bestens einstudiert, sie singen nicht nur schön, sondern auch sehr gut verständlich.
Eine Besonderheit ist, dass Regisseur Cusch Jung selbst auf der Bühne steht und mit Wonne den buffonesken Piratenkönig spielt. Bezaubernd koloraturenselig ist Mirjam Neururer als liebende Mabel, Tenor Jeffery Krueger gefällt als bedauernswerter Frédéric, zerrissen zwischen Liebe und Pflichtgefühl. Köstliche Parodien bringen Patrick Rohbeck als Generalmajor und Michael Raschle als Sergeant auf die Bühne. Ein hübscher Regie-Gag ist, dass Angela Mehling von der leicht verwelkten Amme zur Queen mutiert – nicht Victoria ist hier die rettende „Queen ex machina“, sondern Queen Elizabeth, die in rosa Mantel und Hut dahertippelt und erst noch einen Handyanruf von Camilla abwehrt – „Tell her, I’m busy“–, ehe sie die Piraten begnadigt. Indigniert klopft sie zuletzt dem Piratenkönig, der sie betätscheln will, auf die Finger.